đĄ Peter Jungblut beobachtet fĂŒr BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-KanĂ€le und Social Media, und wertet die EinschĂ€tzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russisch-sprachigen Welt ĂŒber die Ereignisse diskutieren.
Diesen Spott hat der russische General Dmitri Bulgakow weitgehend selbst zu verantworten. Er weihte das jetzt nach einem mutmaĂlichen ukrainischen Drohnenangriff explodierte Munitionslager in der NĂ€he der russischen Kleinstadt Toropez (rund 13.000 Einwohner) vor sechs Jahren mit den Worten ein, dessen Sicherheit sei absolut gewĂ€hrleistet, modernste Erkenntnisse seien berĂŒcksichtigt worden. Die staatliche Nachrichtenagentur TASS berichtete damals ausfĂŒhrlich.
Ruf nach âStrafbataillonenâ
Inzwischen liegt nicht nur das Munitionslager in TrĂŒmmern â Seismologen berichteten von einem örtlichen Erdbeben der StĂ€rke 2,8 â Bulgakow, der bis 2022 stellvertretender Verteidigungsminister war, sitzt obendrein bereits seit Juli wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft. Entsprechend bitter sind die Kommentare der âZ-Bloggerâ, also der professionellen MilitĂ€rbeobachter, ĂŒber das vermeintliche âWeltklasse-Lagerâ.
Ăber den zustĂ€ndigen Gouverneur, der mal wieder behauptet hatte, âTrĂŒmmerâ abgefangener Drohnen hĂ€tten das Chaos angerichtet, hieĂ es ironisch (externer Link): âEs hat keinen Sinn, auf den Gouverneur wĂŒtend zu sein; er ist auch nur eine Geisel der Situation. Hauptsache, die Luftverteidigung funktioniert normal.â Bei solchen Angriffen auf das russische Hinterland mĂŒssten âdie Sterne von den Schultern der Luft- und Raumfahrtkommandeure wie Meteore in einer Augustnacht fliegenâ, war zu lesen: âDie direkt fĂŒr die Luftverteidigung Verantwortlichen sollten vor ein Kriegsgericht gestellt und zu Strafbataillonen geschickt werden!â Politologe Andrei Nikulin scherzte, die Ukraine brauche doch gar keine Langstreckenraketen, wenn es offenbar ausreiche, âTrĂŒmmerâ zu verschieĂen.
âNoch ist es nur eine öffentliche Debatteâ
Die Propaganda des Kremls wurde von einem der gröĂten russischen Telegram-KanĂ€le (1,2 Millionen Fans) frontal angegriffen (externer Link): âWenn der Feind bereits ein Video der Explosionen hat und es in den Medien der Welt bewirbt und unsere angesehenen Institutionen das ignorieren, dann wird sich das Publikum den Angeboten des Feindes zuwenden, und einige Idioten werden ihnen sogar mehr vertrauen als unseren angesehenen zentralen Programmen.â Es gelte, das kommunikative âGleichgewichtâ wiederherzustellen, wird gemahnt: âNoch ist das alles nur eine öffentliche Debatte. Wir hoffen, auf eine höfliche und konstruktive Art und Weise. Wir sind alle höfliche Menschen.â
âNicht dabei helfen, Kriminelle zu deckenâ
âDas Wort des Jahres in Russland könnte âEvakuierungâ seinâ, höhnte Dmitri Sewrjukow (54.000 Fans) (externer Link): âSelbst unter denen, die noch nicht auf der Flucht sind, ist die Stimmung in vielen FĂ€llen nicht mehr so ââunbewegt wie zuvor, wenn sie auch noch nicht auf gepackten Koffern sitzen.â Das trage eindeutig nicht zur âVerbesserung der LebensqualitĂ€t, zur Steigerung der Geburtenrate, zum Wirtschaftswachstum oder zu anderen innovativen Aufgabenâ bei. Sewrjukow forderte den Kreml auf, die militĂ€rischen Probleme âradikal und raschâ zu beheben.
Roman Aljechin (188.000 Follower) verwahrte sich vehement dagegen (externer Link), im Zusammenhang mit der massiven Explosion MilitĂ€rgeheimnisse ausgeplaudert zu haben, was ihm der bekannte TV-Propagandist Wladimir Solowjow unterstellt hatte: âIch bin Russe und ich werde nicht um der Behörden willen lĂŒgen, besonders wenn der Preis fĂŒr diese LĂŒge die Existenz meines Vaterlandes ist. Ich werde nicht schönreden, ich werde die Ereignisse nicht verzerren, ich werde nicht dabei helfen, Kriminelle zu decken.â Die Korruption beim Bau des âunvergleichlichenâ Munitionslagers sei weltweit âbeispiellosâ gewesen.
âSchlag gegen Ăberheblichkeitâ
Blogger Andrei Medwedew (188.000 Fans), nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen russischen Ex-PrĂ€sidenten, regte sich darĂŒber auf (externer Link), dass der Kreml warnende MilitĂ€rexperten samt und sonders als âIdiotenâ beschimpft habe: âEin Angriff auf ein Munitionslager trĂ€gt nicht dazu bei, Kiew zu besiegen. So ein Schlag gegen unser Selbstbewusstsein und unsere Ăberheblichkeit wird uns helfen, die notwendigen Entscheidungen schneller zu treffen. Wir werden weiterhin Granaten und Raketen herstellen. Aber es ist wichtiger, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.â
âRuhmreiche Tatenâ nur âriesige Verschwendungâ
Besonders mutige Blogger, die vielfach zitiert werden, gehen Wladimir Putin nach dem spektakulĂ€ren Angriff sogar persönlich an (externer Link), weil er sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht habe: âEs ist ganz einfach. Die Welt ist grausam und duldet die Schwachen nicht, auch nicht die einst GroĂen.â Propaganda habe den unangenehmen Nachteil, dass deren Urheber frĂŒher oder spĂ€ter anfingen, selbst an sie zu glauben (externer Link): Viele vermeintlich âruhmreiche Tatenâ hĂ€tten sich nachtrĂ€glich als âriesige Verschwendungâ erwiesen â ein Hinweis auf den Korruptionsverdacht beim Bau des Lagers. Putin sei womöglich nicht, wie von ihm dauernd behauptet, vom Westen âbetrogenâ worden, sondern âvon seinen eigenen Leutenâ.