„Unsere heutigen Beamten fürchten weder schlechtes Karma, noch das Fegefeuer. Sie haben Angst, das Falsche zu sagen“, so die aufschlussreiche Analyse in einem Polit-Blog mit 358.000 Abonnenten (externer Link) nach dem Tod des russischen Ex-Verkehrsministers Roman Starowoit, der unmittelbar nach seinem Rauswurf durch Putin mit einer Schusswunde aufgefunden wurde: „Emotionen sind jetzt unangebracht. Aufrichtigkeit gilt als Risiko und könnte als Äußerung eines ‚ausländischen Agenten‘ verfolgt werden. Beileid ist ein Fehler. Es ist einfacher, zu schweigen.“ Das sei einst „Stalins hoher Stil“ gewesen.
Propagandisten und Staatsmedien ignorierten Starowoits Tod weitgehend, Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte sich über das Auffinden der Leiche „schockiert“ gezeigt (externer Link). Die russischen Ermittlungsbehörden hielten eine Selbsttötung für die wahrscheinlichste Todesursache, prominente Kreml-Propagandisten wie Sergei Markow verwiesen darauf, dass der Politiker womöglich von „korrupten“ Mitwissern ausgeschaltet worden sei, nicht jedoch von den russischen Geheimdiensten.
„Lähmung der Macht“
Exil-Kommentatorin Alexandra Prokopenko von der Carnegie-Stiftung vertrat die Ansicht, Putins autokratisches Regierungssystem gerate durch den Vorfall an seine Grenzen „Der Selbstmord von Starowoit zeigt, wie sehr der Druck innerhalb eines Systems gewachsen ist, aus dem es keinen Ausweg gibt. Hohe Ämter, demonstrative Loyalität und selbst die Arbeit in Frontnähe schützen nicht mehr. Und die Unvorhersehbarkeit der Folgen lähmt die Initiative und untergräbt die Regierbarkeit.“
Ein weiterer tonangebender russischer Beobachter (externer Link) warnte ebenfalls vor einer Entmutigung der Führungsschicht: „Die Situation ist so, dass jeder Minister oder Gouverneur morgens um 6 Uhr von Spezialeinheiten vom Bett in den Kofferraum gezerrt werden kann. Das freut die ‚einfachen Leute‘, die ‚jeden an die Wand‘ gestellt sehen wollen, sehr. Aber es schränkt die Handlungsspielräume eben dieser Minister oder Gouverneure erheblich ein.“
Ein „kluger Mensch“ werde keine Spitzenposition mehr übernehmen, wenn er sähe, wie sich „sogar höherrangige Beamte“ erschössen: „Keine vernünftige Führungskraft wird ein wichtiges Dokument unterzeichnen, da jede Unterschrift strafbar sein könnte. Und das bedeutet eine Lähmung der Macht.“
„Exorbitante Kosten, zweifelhafter Nutzen“
Politologe Alexander Semenjow sieht es ähnlich (externer Link): „Wie wird sich die Tragödie von Starowoit auf die Einschätzung des Patron-Gefolgschaftsverhältnisses auswirken, das weltweit die Grundlage der Beziehungen innerhalb der Eliten ist und in unserem Land praktisch die tragende Struktur des gesamten Systems darstellt? Aus Sicht eines rationalen Beobachters von außen ist dieses Verhältnis in einen Zustand geraten, in dem die Gefolgsleute exorbitante Kosten bei äußerst zweifelhaftem Nutzen zu erwarten haben.“ Die Frage sei allerdings, wie viele „vernünftige“ Leute es in der Elite überhaupt noch gebe.