„Will unser neuer Kulturstaatsminister die Nationalhymne ändern?“ fragte sich kürzlich die BILD-Zeitung [externer Link] und spielte damit auf einen Artikel von Wolfram Weimer aus dem Jahr 2019 an [externer Link], wonach der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) ein „geifernder Nationalist“ sei.
In der Traditionslinie der Hymne gebe es „gewaltige Untiefen“, so Weimer damals: „Am übelsten aber ist sein Antisemitismus. Hoffmann von Fallersleben war von einem tief sitzenden Judenhass geprägt. Der entlud sich nicht bloß gegen jüdische Dichterkollegen wie Heine oder Börne. (…) Wenn Fallersleben also von Einigkeit und Recht und Freiheit schrieb, meinte er in Wahrheit eine judenfreie Einigkeit.“
Online-Petition gegen Weimer
Gleichwohl betonte Weimer jetzt gegenüber der „Bild“-Zeitung: „Eine Änderung der Nationalhymne steht nicht auf meiner Agenda.“ Der Gedanke sei „absurd“. Seine streitbaren Artikel sorgten in der Kulturszene dennoch für viel Widerspruch, eine Online-Petition des „Ensemble-Netzwerks“ [externer Link] darstellender Künstler gegen seine Berufung zum Kulturstaatsminister unterschrieben innerhalb von zwei Tagen 26.000 Personen.
„Wolfram Weimer ist nicht geeignet für dieses zentrale Amt der Kulturpolitik. Er ist ein konservativer Publizist und Verleger, der bislang kaum als Kulturmensch in Erscheinung getreten ist“, heißt es dort. Und weiter: „Wir können uns nicht vorstellen, wie Wolfram Weimer die nächste Documenta eröffnet, sich glaubhaft für Chöre im ländlichen Raum oder für Kulturinitiativen in sozialen Brennpunkten einsetzt.“
Nida-Rümelin: „Nicht die ideale Nationalhymne“
Zumindest die Kritik an Hoffmann von Fallersleben kann Julian Nida-Rümelin, der von Januar 2001 bis Oktober 2002 Kulturstaatsminister im Kabinett von Gerhard Schröder war, teilweise nachvollziehen. Das ist insofern bemerkenswert, als Nida-Rümelin den diesjährigen Fallersleben-Preis der Stadt Höxter erhalten hat [externer Link]: „Ich würde schon sagen, wenn man sich die erste und zweite Strophe der Nationalhymne anschaut, dass es nicht die ideale Nationalhymne ist“, so Nida-Rümelin gegenüber dem BR.
Hoffmann von Fallersleben habe das „Pathos der Befreiung“ sehr stark auf die Befreiung der deutschen Nation gegenüber Frankreich ausgerichtet: „Er war ja nicht gerade frankreichfreundlich, sondern stand der französischen Kultur fast feindselig gegenüber. Trotzdem soll man jetzt nicht alles, was aus der damaligen Zeit entstanden ist, in den Schmutz ziehen. Nur weil es bei Immanuel Kant Passagen gibt, die man rassistisch interpretieren kann, ist nicht Kant als Ganzes obsolet oder gar die Aufklärung, der Universalismus und der Humanismus, und das gilt auch für Hoffmann von Fallersleben.“
„Hoffentlich kein neukonservativer Ideologe“
Das teils harsche Urteil mancher Kulturschaffender und Journalisten über Wolfram Weimer teilt Nida-Rümelin nicht: „Ich bin nicht beunruhigt. Ich würde sagen, man kehrt gewissermaßen zu den Anfängen dieses Amtes zurück, weil der erste Inhaber [Michael Naumann] ebenfalls Journalist und Verleger war, wie auch Weimer. Beide haben einen intellektuellen Hintergrund, bei Weimer sind es sehr nachdenkliche Äußerungen und Publikationen, die man inhaltlich nicht teilen muss.“
Nida-Rümelin will abwarten, wie sich Weimer in der Praxis bewährt: „Er wird sich hoffentlich nicht in erster Linie als Ideologe einer neukonservativen Wende gerieren.“ Es sei wenig hilfreich, ihm „von vorneherein Knüppel zwischen die Beine“ zu werfen.
„Man kann nicht nur drüber schweben“
So glamourös, wie es sich manche vorstellen, ist das Amt womöglich gar nicht. Nida-Rümelin verweist darauf, dass Kulturpolitik auf Bundesebene seiner Erfahrung nach nur eine Nebenrolle spiele: „Man kann nicht nur drüber schweben und schöne Reden halten. Solche Reden sind wichtig, auch das Gespräch und die intellektuellen Impulse, wenn sie den kommen, aber man muss sich in die kulturpolitische Kärrnerarbeit reinbegeben, sich da sehr hineinarbeiten, weil man die Zusammenhänge erst mal gar nicht erkennt, was da im Hintergrund los ist, um dann die richtigen Weichenvorstellungen vorzunehmen.“
Ein Beispiel dafür sei die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihrer verschachtelten Struktur. Es gehe insgesamt um tausende von Mitarbeitern: „Der Kulturstaatsminister ist Chef einer obersten Bundesbehörde, die größer ist als die kleineren Ministerien. Deshalb habe ich immer gesagt, irgendwann muss der Reifegrad erreicht sein, wo das ein eigenes Ministerium wird.“