Es gibt keine konkreten Jahresangaben im neuen, sich unheimlich gegenwärtig anfühlenden Film von US-Regisseur Paul Thomas Anderson – aber dass die Zeiten auf Sturm stehen, ist klar. In dem satirischen 160-Minuten-Thriller „One Battle After Another“ sind die USA ein faschistoider Polizeistaat, in dem christliche Nationalisten Amerika wieder groß machen wollen. Störende Objekte werden abgeschoben oder gleich mundtot gemacht. Die Autokratie greift um sich wie ein Virus.
Leonardo DiCaprio erneut oscar-verdächtig
Mittendrin: Bob Ferguson. Einst Teil einer militanten Rebellen-Gruppe, muss er erst wieder lernen, wie das eigentlich funktioniert, die Sache mit der Gegenwehr. Seit vor 16 Jahren eine Guerilla-Aktion gründlich schiefgelaufen ist, versteckt sich der alleinerziehende Sprengstoffexperte mit seiner Teenagertochter in einem Waldhaus irgendwo im Nirgendwo. Alkohol und Drogen haben sein Hirn vernebelt, paranoid ist er obendrein. Kaum verwunderlich also, dass ihm die Erkennungs-Codes aus dem Handbuch für Revolutionäre partout nicht mehr einfallen, als plötzlich wieder Jagd auf ihn gemacht wird.
Weil seine alten Kameraden ihm ohne korrekte Identifizierung jedoch die Unterstützung verweigern, muss sich der von Leonardo DiCaprio oscar-verdächtig verpeilt gespielte Big-Lebowski-Widergänger im Kamikaze-Stil durchs kalifornische Grenzgebiet schlagen. Einerseits auf der Suche nach seiner entführten Tochter und seinem weggekifften Verstand, andererseits auf der Flucht vor einem über Leichen gehenden Colonel, weiß er nicht, wie ihm geschieht.
Und ist damit ein Spiegelbild des Publikums. Denn „One Battle After Another“ ist ein Film, der tausend Haken schlägt. Im besten Sinne absurd und unvorhersehbar ist diese ebenso irre wie oft auch sehr lustige Leinwand-Lehrstunde, die weit mehr ist als eine düstere Panoramaaufnahme der „Unvereinigten Staaten von Amerika“.
Actionszenen wie aus den 70ern
Was als atemlos inszenierter Revolutions-Thriller beginnt, entwickelt sich nach dem ersten Akt zu einer explosiven Dreiecksgeschichte. Auslöser sind zwei triebgesteuerte Radikale, ebenfalls oscar-reif dargestellt von Teyana Taylor und Sean Penn. Ihre unheilvolle Liaison ist der Ausgangspunkt für die später folgende Gewalteruption, die zu einigen der besten Flucht- und Verfolgungsszenen der letzten Jahre führt.
Und das nicht etwa, weil die Inszenierung modernen Mission-Impossible-Standards nacheifert. Sondern weil diese Szenen – ob auf nachtdunklen Dächern oder wellenförmigen Wüsten-Straßen – eine Dynamik haben, die im Independent-Actionkino der 70er-Jahre verortet ist: einer Zeit, in der Widerstand noch ein Lebensgefühl war.
Oscar-reifer Kinofilm
Raus aus der Lethargie, rein in den Revolutionsmodus – auch wenn die Knochen schmerzen und jüngere Aktivisten oft vollkommen anders ticken. So übermächtig das von weißen Nazi-Milliardären unterwanderte Amerika in „One Battle After Another“ auch sein mag – die Botschaft von Paul Thomas Andersons Allegorie der Gegenwart lautet: Aufgeben ist keine Option. Klingt simpel, hat sich als Mantra aber noch nicht durchgesetzt. Und ist deswegen einer von vielen Gründen, warum „One Battle After Another“ der Film der Stunde ist.