Das Datum verrät schon viel über den Inhalt. Am 4. Oktober hat Papst Leo XIV. seine Unterschrift unter seine erste „Apostolische Exhortation“, sein erstes Lehrschreiben, gesetzt. An diesem Tag wird des Heiligen Franziskus von Assisi gedacht, in Italien künftig sogar mit einem neuen Feiertag. Damit gibt Leo XIV. den ersten Hinweis darauf, dass er inhaltlich an seinen Vorgänger Papst Franziskus anknüpft.
Ein weiteres Indiz ist der Titel. Die letzte Enzyklika von Papst Franziskus trug die Überschrift „Dilexit nos“ , übersetzt: „Er hat uns geliebt.“ Das erste Lehrschreiben von Leo heißt: „Dilexi te“, auf Deutsch: „Ich habe dich geliebt.“
Leo XIV. übernimmt scharfe Kapitalismuskritik
Passend zu diesem Titel führt Leo XIV. die Theologie der Liebe weiter aus. Insbesondere geht es um die Gottesliebe, die sich vor allem den Ärmsten zuwendet. Das Schreiben bleibt aber nicht rein theologisch, sondern legt den Fokus auf Armut und Wirtschaft. Der Papst übernimmt darin einen der provokantesten Sätze seines Vorgängers und betont, es sei notwendig, weiterhin die „Diktatur einer Wirtschaft, die tötet“ anzuprangern.
So schreibt der Papst, „die Illusion, dass ein Leben in Wohlstand glücklich macht, führt viele Menschen nämlich zu einer Lebenseinstellung, die auf Ansammlung von Reichtum und sozialen Erfolg um jeden Preis ausgerichtet ist, auch wenn dies auf Kosten anderer geschieht.“ Der Papst spart bewusst auch Christinnen und Christen nicht aus dieser Kritik aus.
Auch diese ließen sich „oft von weltlichen Ideologien oder politischen und wirtschaftlichen Orientierungen anstecken.“ Er skizziert eine globale Entwicklung „in der es immer mehr arme Menschen gibt, paradoxerweise auch die Zunahme einiger reicher Eliten, die in einer Blase sehr komfortabler und luxuriöser Bedingungen leben.“
Papst Leo XIV.: Arme sind „Familienangelegenheit“
Der Papst betont die Klarheit der Bibel im Umgang mit armen Menschen und kritisiert, dass die Gesellschaften in Industrienationen ihr Leid „ausblenden“. Das müsse sich ändern, so der Papst, und appelliert: „Christen dürfen die Armen nicht bloß als soziales Problem betrachten: Sie sind eine ‚Familienangelegenheit‘.“
Damit unterstreicht er seine Aussagen in den vergangenen Wochen, in denen er etwa die inhumanen Zustände in Gaza oder indirekt die Politik Donald Trumps gegenüber Migranten kritisiert hatte. Leo XIV. ruft in dem Schreiben auch zu einer Haltung auf, die „Fremde verbindet und Feinde zu Vertrauten“ macht. Damit ist sein Schreiben auch ein Appell, Konflikte zu beenden und den Frieden zu suchen.
Ist der Papst „mehr Latino als Yankee“?
Der Vatikan-Korrespondent der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“, Iacopo Scaramuzzi, reagierte wie folgt auf das erste Lehrschreiben von Papst Leo XIV.: „Das ist mehr Latino als Yankee.“ Dieses Urteil scheint sich zu verfestigen, wenn man betrachtet, auf wen sich der Papst in seinem Schreiben am häufigsten bezieht. An mehreren Stellen verweist er auf lateinamerikanische Bischöfe. Mehr als ein Dutzend mal zitiert er die seit 1968 von ihnen geprägte Formulierung „Option für die Armen“. So macht er sich die Lehren der fünf großen lateinamerikanischen Bischofsversammlungen von Medellin (1968) bis Aparecida (2007) zu eigen.
Mit dieser lateinamerikanischen Verortung und seinen eindeutigen Appellen richtet sich Leo XIV. wohl gegen die Musks dieser Welt und gegen die, die meinen, dass der freie Markt es schon richten werde und dabei beteuern, dass dabei genug für die Armen bleibe.
Positive Reaktion aus Deutschland
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, zeigte sich dankbar für die deutlichen Worte des Papstes: „Er macht mit diesem Dokument deutlich, dass er den von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg der Kirche einer verstärkten Zuwendung hin zu den Armen und Benachteiligten weitergeht.“
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, sieht sich durch das erste offizielle Lehrschreiben von Papst Leo XIV. in ihrer Arbeit bestärkt. In seinem Schreiben werde deutlich, dass sich die Ermutigung nicht auf individuelle Zuwendung zu den Armen beschränke. „Es braucht Strukturen der Armutsbekämpfung, geeignete politische Rahmenbedingungen und institutionelle Antworten, die verhindern, dass Armut sich verfestigt und ausweitet“, sagte sie.