Wie kam „Mädchen mit Strohhut“ in die staatliche Sammlung?
Im Januar 1935, unter dem Druck der Naziherrschaft, laufen die Geschäfte der Brüder Lion schlecht. Die Lions tauschen das Amerling-Bild mit den Staatsgemäldesammlungen, um dafür zwei Bilder aus dem Museumsdepot zu bekommen. Zu ihren genauen Beweggründen – und ob sie die Bilder überhaupt ausgehändigt bekommen haben – gibt es keine schriftlichen Unterlagen mehr. Was es aber schriftlich gibt, ist ein Aktenvermerk des damaligen Generaldirektors Ernst Buchner zu dem Tausch. Darin beschreibt Buchner die herausgegebenen Bilder als durchaus entbehrliche, kitschig-banale Depotware.
Anwalt Hannes Hartung interpretiert das als Beweis für ein Unter-Wert-Geschäft, als NS-bedingten Zwangstausch unter Ausnutzung der Notlage der jüdischen Kunsthändler: „Es werden zwei völlig billige Bilder hergegeben, für ein fantastisches Bild von Amerling. Wäre es ein Kauf, würde man sagen, es ist kein angemessener Kaufpreis bezahlt worden.“
Indizien für Tauschgeschäft auf Augenhöhe?
Im Mai erhielt Anwalt Hannes Hartung nun ein 59-seitiges internes Forschungsdossier der Staatsgemäldesammlungen. Der Inhalt irritierte ihn. Denn in den Ausführungen der Provenienzforscher wird dem internen Vermerk des Generaldirektors jegliche Beweiskraft abgesprochen: Bei Tauschvorgängen – egal ob mit jüdischen oder sogenannten arischen Händlern – sei es stets die Strategie des Direktors gewesen, die gewünschten Bilder als besonders wertig und die vom Museum abgegebenen als verzichtbar darzustellen, sonst hätte das übergeordnete Ministerium niemals zugestimmt.
Über den tatsächlichen Gegenwert der musealen Tauschware sage der Aktenvermerk folglich nichts aus. In vergleichenden Schätzungen kommen die Autoren des Dossiers am Ende sogar zu dem Schluss, dass die Museumsbilder wertvoller waren als der eingelieferte Amerling.
Opfer-Anwalt: „Eindeutig NS-Raubkunst!“
Hannes Hartung kritisiert den Inhalt des Dossiers aufs Schärfste und fragt ganz grundsätzlich, ob es diesen Tausch ohne den Druck der NS-Verfolgung gegeben hätte: „Wäre dieses Rechtsgeschäft außerhalb des Nationalsozialismus so geschlossen worden? Niemals!“ Für den Anwalt ein klarer Fall von NS-verfolgungsbedingtem Entzug, der eine unverzügliche Rückgabe zur Folge haben müsste: „Dass man da noch ernsthaft darüber anfängt zu diskutieren, halte ich für äußerst fragwürdig!“
Museum und Kunstministerium bitten um Geduld
Die Staatsgemäldesammlungen beantworten auf BR24-Anfrage derzeit keine inhaltlichen Nachfragen zu dem Dossier. Es handle sich um die sachlich neutrale Darstellung des Falls unter Einbeziehung aller verfügbaren Unterlagen und Dokumente, an der juristischen Bewertung und einer Empfehlung zum weiteren Vorgehen arbeite man gerade noch, heißt es aus dem Museum.
Ende Juli will Kunstminister Markus Blume nochmals dem Landtag über den Zwischenstand in Sachen Aufarbeitung rund um die Staatsgemäldesammlungen berichten. Ob es im Fall Amerling bis dahin zu einer Entscheidung kommt, ist offen. Miguel Meyer richtet die letzten Worte seines Statements daher direkt an den Kunstminister: „Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun!“
223 Werke neu auf Lost Art eingestellt
Seit der kritischen Berichterstattung im Februar wurden von den Staatsgemäldesammlungen 223 Werke neu in die Datenbank Lost Art eingestellt. In den museumseigenen Datenbanken sind derzeit im Provenienzampelsystem 86 Werke mit „rot“ markiert, 443 mit dem Vermerk „orange“. Rot steht für einen gesicherten Raubkunstverdacht, orange für einen wahrscheinlichen, der weitere Forschungen nötig macht.
Neue Ansprüche an das Museum von Nachfahren NS-verfolgter Kunsthändler oder Sammlerinnen gab es seit Februar 2025 nach Auskunft der Staatsgemäldesammlungen nicht.