Aus der Geschichte lernen zu können, muss man an sie erinnern. Aber wie? Und woran genau wollen wir erinnern? Um derlei Fragen zu klären, soll das bisherige Rahmenkonzept Erinnerungskultur der Bundesregierung nach 16 Jahren überarbeitet werden. Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen wollte in diesem Zug das Konzept um neue Themen erweitern, was ihr harsche Kritik von den Gedenkstättenverbänden eingebracht hatte. Gestern hat sich Claudia Roth mit deren Vertretern zu einem runden Tisch getroffen.
In ihrem Entwurf für ein „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ hatte Claudia Roth neben dem Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte drei weitere Themenkomplexe in den Blick genommen: den deutschen Kolonialismus, die Migrationsgesellschaft und rassistisch motivierte Verbrechen wie die NSU-Morde sowie die deutsche Demokratiegeschichte. Dafür hagelte es Kritik vom Zentralrat der Juden in Deutschland, aber vor allem auch von Vertretern der NS-Gedenkstätten. Der Vorwurf: Durch die Aufnahme weiterer Themenfelder würden die NS-Verbrechen relativiert und das DDR-Unrecht bagatellisiert.
NS- und Kolonialverbrechen „schwerlich zu vergleichen“
Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz, sagte dazu im BR: „Gerade das Besondere, die Einzigartigkeit der Verbrechen an Orten wie Dachau, wie Flossenbürg, wie Auschwitz, sind mit den deutschen Kolonialverbrechen, die eine andere Geschichte, eine andere Vor- und Nachgeschichte haben, schwerlich zu vergleichen.“
Deutliche Worte von Skriebeleit, der gestern auch zum runden Tisch bei Claudia Roth eingeladen war. Roth äußerte sich am Freitagmorgen im BR zur Kritik: „Ja, das war ein schwerer Vorwurf, weil es mitnichten, also wirklich mitnichten um Relativierung oder Bagatellisierung geht“, sagte Roth, „man kann so einen Vorwurf nicht einfach so stehen lassen, denn meine Behörde, die BKM [Anm. der Redaktion: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien], arbeitet sehr intensiv an Erinnerungskultur und so ein Vorwurf, der war sozusagen eine Zuspitzung.“
„Eigener Rahmen“ für neue Themen
Der Dialog am runden Tisch habe in einer „konstruktiven Atmosphäre“ stattgefunden: „Wir haben sehr intensiv über die großen Herausforderungen gesprochen, vor denen die Gedenkstätten stehen, wie dem Wandel der Gesellschaft, dem Anstieg des Rechtsextremismus, den Anforderungen einer digitalen Welt, wie auch dem großen zeitlichen Abstand, wo es einfach nur noch ganz, ganz, ganz wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt.“
Es sei nun vorgesehen, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes mit den Themen Aufarbeitung der NS-Verbrechen und des SED-Unrechts mit den Vertreterinnen und Vertretern der Gedenkstätten und weiteren geschichtskulturellen Akteurinnen und Akteuren sowie dem Deutschen Bundestag und den Ländern fortzuschreiben.
Die neuen Themenfelder wie Kolonialismus, Geschichte des Rechtsterrorismus, Einwanderungsgesellschaft und Demokratiegeschichte sollten zwar „weiter beraten“ werden, allerdings in einem „eigenen Rahmen“ und unter Einbindung der Zivilgesellschaft, so Roth. Im Klartext heißt das wohl: Die Einbindung ins Rahmenkonzept ist vom Tisch. Roth zeigte sich dennoch zufrieden, die „Spannung“ und „schrillen Töne“ seien dank der Gespräche vorerst überwunden.