Im Vorfeld wurde bereits gemunkelt, der Eröffnungsabend der Filmfestspiele in Cannes könnte emotional werden. Insbesondere die Verleihung der goldenen Ehrenpalme an Robert De Niro. Und tatsächlich. Nachdem Überraschungsgast Leonardo DiCaprio eine Laudatio auf seinen Schauspielkollegen gehalten hatte und De Niro während der minutenlangen Standing Ovations wirkte, als würde ihm jeden Moment eine Träne aus dem Augenwinkel kullern, dachte man als Zuschauer, okay, Chapeau.
„Das ist nicht nur ein amerikanisches Problem“
Dabei sollte das eigentliche Highlight erst noch kommen: Denn De Niro tat, was sich viele seit der Wiederwahl Donald Trumps nicht mehr getraut hatten. Er nahm den US-Präsidenten ins Visier und forderte die anwesende Filmelite in einer kämpferischen Rede zum Widerstand auf: „Man kann Kreativität nicht mit einem Preis belegen, aber offenbar kann man sie mit einem Zoll belegen. Das ist inakzeptabel. Und das ist nicht nur ein amerikanisches Problem, sondern ein globales. Wir können uns nicht einfach wie bei einem Film zurücklehnen und zusehen. Wir müssen handeln und wir müssen jetzt handeln“, sagte De Niro. Kunst suche nach Wahrheit und umarme die Vielfalt, führte der 81-Jährige weiter aus. Deshalb sei Kunst auch eine Bedrohung, nämlich für Autokraten und Faschisten.
Binoche erinnert an palästinensische Fotojournalistin
Auch Jury-Präsidentin Juliette Binoche wurde in ihrer Rede politisch. Sie erinnerte an alle Geiseln, Vertriebenen und Entführten dieser Welt. Und an Fatima Hassouna, eine Fotojournalistin aus Palästina und Protagonistin der Dokumentation „Put Your Soul on Your Hand and Walk“, die in einer Nebenreihe des Festivals gezeigt wird. Einen Tag nach Bekanntgabe des Festivalprogramms waren Hassouna und mehrere Mitglieder ihrer Familie bei einem Luftangriff des israelischen Militärs ums Leben gekommen.
Im Film, so Binoche, würden sie weiterleben: „Die Kunst bleibt. Sie ist ein starkes Zeugnis unserer Leben und unserer Träume. Und wir stehen für sie ein. Möge das Festival von Cannes, das alles ins Wanken bringen kann, dazu beitragen.“ Angesichts der ungewöhnlichen Fülle an gehaltvollen Beiträgen wirkte der Eröffnungsfilm wie das Kontrastprogramm. „Partir un Jour“, eine Mischung aus Musical und Tragikomödie, sollte das Publikum mit seinen vielen Tanz- und Gesangseinlagen möglicherweise auf andere Gedanken bringen und in Partylaune versetzen. Bleibenden Eindruck hinterlassen werden jedoch eher die Reden von De Niro und Binoche.