Beginnen wir mit der Hose. Was Rapper Drake am ersten Wiesn-Wochenende trägt, ist keine Lederhose. Es fehlen der Gürtel mit Hornschließe, die Messertasche, die typischen Ziernähte. Stattdessen: Denim, dicht bestickt, rote und silberne Perlen. Eine Vintage-Latzhose von Chanel, hoch geschnitten, die Perlenornamente blitzen im Blitzlicht wie Konfetti auf einer Tanzfläche.
Im Namen der Hose
Drakes Mode-Mischung ist ein Amalgam aus Couture und Wiesn-Code. Kurz: das perfekte Kleidungsstück für das Meme-Zeitalter. Eine Latzhose, die überall verstanden wird – als Latzhose –, und trotzdem auch ein bisschen nach Bierzelt aussieht. Irgendwie ironisch, irgendwie bayerisch, irgendwie cool.
Blasmusik, Trachten, Bierkrüge auf der einen Seite; globale Pop-Logik auf der anderen. Die Wiesn-Symbole sind universell lesbar, in Tokio oder Toronto genauso wie am Tegernsee oder in Traunstein. Wer sie variiert, so wie Drake mit seiner Chanel-Latzhose, erzeugt Bilder, die sofort verständlich sind – und trotzdem neu wirken.
Ballons, Bizeps, Bierbank
Natürlich war die Wiesn immer schon auch Promi-Schaulaufen: Justin Bieber, der abgeschirmt von bunten Ballons an seiner Maß nippt; Arnold Schwarzenegger, der in Lederhose die Zeltmusik dirigiert; Bayern-Spieler, die im Käferzelt mit ihren Ehefrauen rummachen. Heute aber wird aus dem Schaulaufen systematischer Content. Und so ist es wenig überraschend, dass Social-Media- und andere Promotion-Aktionen „in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben“, so die Pressestelle des Oktoberfestes auf Anfrage von BR24.
Palina stemmt, Kaulitz streamt
Heidi Klum sorgt für den Auftakt – mit einem „HeidiFest“ im Münchner Hofbräuhaus, noch vor dem ersten Anstich. Palina Rojinski wiederum geht die Sache körperlicher an und spielt Wiesn-Bedienung: Sieben Maßkrüge stemmt das VIVA-Sternchen auf einmal, ein kurzes Video, viele Klicks. Die Kaulitz-Brüder nutzten ihren Podcast, um die Wiesn-Inszenierung vorab anzufeuern – mit Erfolg. „Wir waren diese Woche Memes ohne Ende“, resümieren die beiden in der Folge nach dem öffentlichkeitswirksam Wiesn-Umtrunk. Für ein paar Stunden Festzelt ist das im Internet-Zeitalter die bestmögliche Bilanz.
Tradition im Hochkantformat
Der Instagram-Budenzauber wirkt locker, ist aber minutiös geplant. „Authentisch“ heißt hier: geplanter Zufall. Agenturen, Stylisten, Manager arbeiten daran, dass Spontaneität wie aus dem Moment geboren aussieht. Und die klassische Presse? Zieht nach, kuratiert die Instagram-Clips, verstärkt den Hype, sodass aus Posts Geschichten werden.
Promis kommen daher nicht wegen des halben Hendls oder um mal „Wilde Maus“ zu fahren, sondern weil die Wiesn eine berechenbare Bühne ist. Der Besuch funktioniert wie eine Filmpremiere: Man weiß, welche Motive laufen, welche Bilder weitergereicht werden, welche Marke beiläufig ins Bild rutscht.
Verwerflich ist das nicht. Die Wiesn war immer schon Bühne. Früher lieferte die „Bunte“ die Fotostrecke, heute liefern die Algorithmen die Reichweite. Früher wurde geschunkelt, heute wird immer noch geschunkelt, aber das Schunkeln wird gefilmt und hochgeladen.
Von der Bierbank zum viralen Backdrop
Damit ist die Wiesn 2025 kein viraler Ausnahmezustand mehr, sondern ein weltweit anschlussfähiges Content-Format. Sie liefert die Kulisse, die Geschichten schreiben sich von selbst: Familienglück, Glamour, Meme-Material.
Und die Tradition? Sie ist nicht verschwunden. Dirndl, Maßkrug, Schunkeln sind noch da, aber sie sind der Rohstoff für Posts und Reichweite. Und ohnehin ist fraglich, wie viel „echte“ Tradition je in der Wiesn steckte. Schon das Dirndl war im 19. Jahrhundert eine bürgerliche Umdeutung bäuerlicher Kleidung, die Lederhose längst mehr Kostüm als Arbeitskleidung. Die Wiesn hat ihre Rituale immer wieder neu erfunden, immer wieder neu aufgeladen – von der Blasmusik bis zur Ballermann-Hymne. Vielleicht liegt darin die eigentliche Logik des größten Volksfestes der Welt: Die Wiesn ist ein Fest, das sich dauernd neu verkleidet, fast ein bisschen wie Drake.
Bilder, die länger halten als der Rausch
In diesem Sinn ist Drakes Chanel-Latzhose kein Bruch, sondern fast folgerichtig: eine perlenbestickte Fortschreibung der Wiesn-Geschichte. Sie zeigt, dass selbst eine Latzhose Tradition sein kann – wenn sie stark genug funkelt, um die flüchtige Insta-Story zu überleben.