Darum geht’s:
- Alice Weidel behauptete in einem Gespräch mit Elon Musk unter anderem, Deutschland sei das einzige Industrieland, das aus der Atomkraft ausgestiegen sei. Das ist falsch.
- Es ist eine bekannte Strategie, soziale Medien mit Falschinformationen zu fluten, um Personen zu beeinflussen.
- Experten vermuten hinter Musks Einmischung in den deutschen Wahlkampf wirtschaftliche Interessen.
Hinweis: Dieser Artikel entsteht im Rahmen der Kooperation der ARD Faktenchecker von ARD-Faktenfinder, BR24 #Faktenfuchs, und DW Fact check.
Elon Musk hat Alice Weidel zu einem „Space“ auf seiner Plattform „X“ eingeladen – einer Art Audiokonferenz, der Nutzer der Plattform zuhören konnten. Die Spitzenkandidatin der AfD traf im Gespräch mit Elon Musk am 9. Januar nicht nur Falschbehauptungen über Deutschlands NS-Geschichte – sondern etwa auch über Angela Merkel und den deutschen Atomausstieg. In diesem #Faktenfuchs ordnen wir einige Aussagen aus dem Gespräch ein und klären, warum Elon Musk im deutschen Wahlkampf mitmischt.
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Beispiel 1: Nein, Angela Merkel hat 2015 nicht die deutsche Grenze für illegale Einwanderung geöffnet
Migration war von Anfang an ein großes Thema im Talk. Über die Asylkrise im Jahr 2015 sagte Weidel etwa fälschlicherweise: „[Angela Merkel] hat, ohne die Bürger zu fragen, durchgesetzt, unsere Grenzen für illegale Einwanderung zu öffnen“.
Kolja Schwartz von der ARD-Rechtsredaktion erklärte im April 2016: Die Formulierung, Merkel habe die Grenzen geöffnet, sei „grundfalsch, weil es schon seit Jahren keine geschlossenen Grenzen mehr gibt innerhalb des sogenannten Schengenraums. Es konnten also im Jahr 2015 auch keine Grenzen geöffnet werden.“ An der Grenze zu Österreich wurden im September 2015 temporäre Grenzkontrollen eingeführt, wie der ARD Faktenfinder schreibt.
Beispiel 2: Nein, Deutschland hat nicht die höchste Steuerlast aller OECD-Länder
Weidel kritisierte außerdem, dass Deutschland angeblich die höchsten Steuern von allen OECD-Ländern hat. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine internationale Organisation von 38 Industriestaaten. Weidel widerspricht damit laut einem Faktencheck des ARD Faktenfinders den eigenen Angaben der OECD (externer Link). Sie führt Deutschland bei keinem der insgesamt acht verschiedenen Haushaltstypen (wie z.B. Singles oder Paare mit zwei Kindern) als Land mit den höchsten Steuerabgaben. In drei Fällen hat Deutschland die zweitgrößte Steuerbelastung der OECD-Länder, in den anderen Fällen gibt es noch mehr Länder mit höherer Belastung. Und: Im Vergleich der Steuer- und Sozialabgaben der OECD-Länder 2023 (externer Link) im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland auf Platz 12.
Beispiel 3: Nein, Deutschland ist nicht das einzige Industrieland, das aus der Atomenergie ausgestiegen ist
Musk und Weidel sprachen auch über Deutschlands Energiepolitik. Dabei behauptete Weidel, Deutschland sei das einzige Industrieland, das aus der Atomenergie ausgestiegen ist. Wie sowohl Deutsche Welle Faktencheck als auch der ARD Faktenfinder schreiben, hatte Italien schon 1990 alle Atomkraftwerke abgeschaltet. 1987 stimmten dort unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl etwas mehr als 80 Prozent der Stimmberechtigten in einem Referendum (externer Link) für einen Atomausstieg. Weitere Industriestaaten wie Belgien und Spanien haben laut ARD Faktenfinder außerdem zumindest geplant, aus der Kernenergie auszusteigen.
Die aktuelle italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni strebt derzeit an, wieder in die Atomkraft einzusteigen (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt).
Experten raten zu Gelassenheit in Journalismus und Politik
Das Musk-Weidel-Gespräch werde wenig Auswirkungen auf die Ergebnisse der Bundestagswahl haben, glaubt Andreas Jungherr, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bamberg.
„Das war ja wie die Parodie von einem schlimmstmöglichen Familienfest, was man da gesehen hat“, sagte er zu den Themen des Gesprächs. Er rate zu Gelassenheit im Journalismus und in der Politik. Sorgen um die Demokratie müsse man sich nicht machen. Es sei aber zu befürchten, „dass wir solche Ereignisse hochjazzen“, weil man dadurch alle nervös mache. Stattdessen rät Jungherr: Lieber über wirklich entscheidende Themen sprechen.
Der Journalismus sollte nicht über jeden provokativen Post berichten, meinte der Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller im Pressegespräch des Science Media Center. Er verweist auf die “Flooding-the-zone”-Strategie (übersetzt: den Bereich fluten), die der Publizist Steve Bannon als Berater Donald Trumps propagierte (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). „Extrem rechte Akteure“ bedienten sich dieser Strategie auf Social Media, sagt Müller.
Wenn man ständig Beiträge mit ähnlichem Inhalt sehe, dann könnte das unter Umständen Personen beeinflussen. Es wäre wichtiger, größere Fragen zu stellen, sagte Müller: Welche Strukturen stecken hinter Plattformen wie X? Und welche strategischen Interessen haben die Eigentümer wie Elon Musk?
Hinter Musks Wortmeldungen stehen vermutlich wirtschaftliche Interessen
Der Politikberater Martin Fuchs sagte BR24, er vermute, dass Musk durch politische Kontakte „seine wirtschaftlichen Unternehmungen und Aktivitäten unterstützen und absichern“ wolle. Musk vertrete sogenannte libertäre Ansichten, sein Ziel sei, den Staat abzubauen, sagt Fuchs. Folglich unterstütze er „Gruppen und Parteien weltweit, die ihm möglichst wenig Knüppel zwischen die Beine werfen.“
Für Politikwissenschaftler Andreas Jungherr hat Musk „handfeste wirtschaftliche Interessen“, unter Umständen gehöre dazu ein „geschwächtes Deutschland“ und eine „geschwächte EU“. Wenn das sein Ziel sei, dann sei die AfD „eine gute Wette“.
Der Politikwissenschaftler Philipp Adorf von der Universität Bonn sagte BR24, Musk richte sich nun an vergleichbare Akteure in Europa wie Donald Trump in den USA. „Man sieht, dass er die gesamte rechtspopulistische Parteienfamilie in Europa unterstützt.“ Dass Musk sich so stark und in dieser Form in Deutschland einmische, sei auch Zeichen einer „gewissen Radikalisierung“, so Adorf im BR24-Interview.
Fazit
Alice Weidel machte im Gespräch auf X mit Elon Musk mehrere Falschbehauptungen beispielsweise, dass Angela Merkel 2015 die deutschen Grenzen geöffnet habe. Doch Deutschland führte zu diesem Zeitpunkt als Mitglied des Schengen-Raums schon seit Jahren keine Grenzkontrollen mehr durch. Es ist eine bekannte Strategie, soziale Medien mit Falschinfos zu fluten, um Personen zu beeinflussen.
Experten vermuten, Musk verfolge mit seiner Unterstützung der AfD wirtschaftliche Interessen. Beispielsweise könnte er sich davon weniger Regulierungen und mehr unternehmerische Freiheit erhoffen.
Mitarbeit: Pascal Siggelkow, Carla Reveland (ARD Faktenfinder) und Monir Ghaedi, Anwar Ashraf, Ferenc Gaál, Frank Suyak (Deutsche Welle Fact check).
Im Audio (8.1.): Warum sich Elon Musk in die deutsche Politik einmischt