Es ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Jasmin Duerr heute wieder später nachhause kommt: Fast der gesamte Brenner leuchtet auf dem Monitor orange und rot auf. Sie steht im Dispositionsbüro der Firma Huber Logistik im Landkreis Rosenheim und geht mit ihrem Chef Christian Huber konzentriert die Route durch. Ein 40 Tonnen schwerer Lkw, geladen mit Molkereiprodukten aus Bayern, steht auf dem Hof der Firma Huber Logistik für sie bereit. Sie ist Lkw-Fahrerin bei dem Speditions- und Transportunternehmen mit Sitz in Albaching und hat eine kraftraubende Strecke vor sich: Aus dem Landkreis Rosenheim geht es bis nach Trient in Norditalien und wieder zurück.
Überschrittene Arbeitszeiten aufgrund von Stau
Immer wieder kommt es vor, dass sie die Arbeitszeiten nicht einhalten kann. Insgesamt darf sie zweimal pro Woche zehn Stunden am Tag fahren – doch aufgrund der vielen Baustellen und der Fahrverbote, ist das kaum zu schaffen.
„Es ist für den Fahrer natürlich auch ein brutaler Druck, der auf einen wartet, weil man möchte ja auch zeitlich wieder durchkommen wollen, seine Fahrzeiten einhalten. Man würde auch gerne pünktlich wieder nach Hause kommen, was aufgrund der Baustellen im Moment einfach sehr schwierig ist.“ Jasmin Duerr, Lkw-Fahrerin
Aufgrund dringend notwendiger Renovierungsarbeiten an der Luegbrücke auf der österreichischen A13 Richtung Brenner kommt auf sie eine neue Herausforderung zu. Am ersten Januar 2025 soll die Baustelle starten, dann wird es voraussichtlich noch mehr Stau geben.
Durchfahrbeschränkungen setzen Speditionen zu
Dazu kommt das größte Ärgernis für die bayerischen Spediteure: die Blockabfertigung. Mit ihr begrenzt die Tiroler Landesregierung die Zahl der Durchfahrten auf der Inntalautobahn. 2,4 Millionen Lkw sind es täglich. 1998 waren es noch halb so viele. Wirtschaftsverbände aus Südtirol, Tirol und Bayern fordern freie Fahrt für Lkw mit der besten Schadstoffklasse Euro 6.
„Es soll für alle Spediteure aus Italien, Österreich und Bayern die Möglichkeit geben durchzufahren. Und deshalb müssen die Nachtfahrverbote aufgehoben werden“, sagt Max Kloger von der Industriellenvereinigung Tirol. Dafür ist er und andere Wirtschaftsvertreter auch zu Kompromissen bereit.
„Weltweit muss der Transport teurer werden“
Wirtschaftsverbände aus Südtirol, Tirol und Bayern sind sich einig: Nachts sollen alle modernen Lkw mit der Schadstoffklasse Euro 6 durchfahren können – dafür nur mit 60 Kilometer pro Stunde, so ihr Angebot. So könne man die Anwohner entlasten, die seit Jahrzehnten unter Abgasen und Verkehrslärm leiden. Weil es an Alternativrouten zwischen Bayern und Italien mangelt, dürfe es laut der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft auch keine weiteren Mauterhöhungen mehr geben, die exportierende Unternehmen weiter belaste.
Heiner Oberrauch vom Unternehmerverband Südtirol ist allerdings gewillt, höhere Mautgebühren für ältere Modelle mit der Schadstoffklasse Euro 5 zu befürworten. Dadurch würde der Druck steigen, klimaneutraleren Verkehr voranzubringen.
„Europaweit muss der Transportverkehr teurer werden, wenn wir enkeltauglich wirtschaften wollen.“ Heiner Oberrauch, Unternehmerverband Südtirol
Deutschland muss liefern: Schiene unzureichend ausgebaut
Deutschland und vor allem der Freistaat Bayern stünden in der Pflicht, die Zulaufstrecken für den geplanten Brennerbasistunnel, dessen Fertigstellung bis 2032 geplant ist, weiter voranzubringen. Außerdem müsse mehr dafür geworben werden, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Bisher macht diese nur knapp 30 Prozent des Warenverkehrs aus. Noch über 70 Prozent läuft weiterhin über die Brennerautobahn.
Verkehrslandesrat René Zumtobel aus Tirol sieht ein Problem im schlecht ausgebauten Schienenverkehr und wünscht sich mehr Engagement von bayerischer Seite.
„Die Zukunft des transeuropäischen Gütertransportes kann nur auf der Schiene liegen. Dazu brauchen wir mehr und größere Verladeterminals. Leider schreitet der Ausbau von Terminals und Verladestellen nur sehr schleppend voran und Projekte bleiben zu lange im Planungsstadium, was natürlich auch Auswirkung auf die Motivation der Transportunternehmen zur Verlagerung auf die Schiene hat.“ René Zumtobel, Landesrat Tirol
Die Landesregierung will die Anwohner im Inntal vor dem immer höheren Verkehrsaufkommen schützen – und das mit umstrittenen Mitteln.
Streit über Tiroler Fahrverbote spitzt sich zu
Bayerns Spediteure klagen über unverhältnismäßige Fahrverbote der Landesregierung Tirol. Diese würde die Brennerautobahn oft unangekündigt für ausländische Lkw sperren. Unternehmer wie Christian Huber, Geschäftsführer der Speditionsfirma, bei der auch Lkw-Fahrerin Jasmin Duerr arbeitet, fühlen sich diskriminiert.
„Die Landesregierung Tirol verhängt kurzfristige Fahrverbote für den nächsten Tag, auf die wir auf die Schnelle reagieren sollen. Das kann es nicht sein. Wir müssen mit Ansage in den Stau fahren.“ Christian Huber, Spediteur
Die Tiroler Landesregierung bestreitet das auf Anfrage des BR. Kurzfristige Durchfahrtverbote würden nur in absoluten Ausnahmefällen verhängt. Doch die Kritik kommt auch von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Dort spricht man von europarechtswidrigen Eingriffen in den freien Warenverkehr, die sofort beendet werden müssen.
Europäische Kommission kritisiert Tirols Fahrverbote
Und so stehen die Tiroler Transitbeschränkungen im Fokus der Kritik von bayerischer und auch italienischer Seite: Im langjährigen Transitstreit hat Italiens Regierung ein bereits im Februar dieses Jahres ein Vertragsverletzungsverfahren vor der Europäische Kommission angestoßen und von ihr Rückendeckung bekommen. Die EU-Kommission kommt zum Schluss, dass die von Tirol eingeführten Transitbeschränkungen größtenteils unverhältnismäßig seien. Ein nächster Schritt wäre dann eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Das wäre auch für Jasmin Duerr interessant: „Die Fahrverbote sind ein ganz großes Problem. Wir haben immer einen gewissen Zeitdruck im Nacken.“ Auch heute weiß sie nicht, ob sie pünktlich nachhause kommt oder doch länger im Stau steht – mal wieder.