Auf den ersten Blick sind die Zahlen ermutigend: Seit 2018 investierten Risikokapitalgeber rund eine Milliarde Dollar in deutsche Start-ups, die sich mit Verteidigungstechnologien beschäftigen, so der IT-Branchenverband Bitkom. Damit liege die Bundesrepublik vor anderen europäischen Nationen wie Großbritannien oder Frankreich.
Beim vergleichenden Blick über den Atlantik schrumpft diese Summe in ihrer Bedeutung aber deutlich zusammen. So lag der Vergleichswert in den USA bei 130 Milliarden Dollar, die in sogenannte DefTechs investiert wurden. Die finanzielle Ausstattung von Rüstungs-Start-ups liegt also weit hinter ihren Wettbewerbern in den Vereinigten Staaten zurück.
Klage über zähe Beschaffungsbürokratie
Dazu kommt aber ein weiterer verheerender Punkt: Für eine aktuelle Umfrage [externer Link] von Bitkom wurden Start-ups nach ihrer Einschätzung zur Bundeswehr gefragt. Das Ergebnis: Jedes einzelne befragte Unternehmen gab an, die Beschaffungsprozesse bei der Bundeswehr seien zu komplex und zu langwierig. Trotz aller politischen Bekenntnisse zu einer Modernisierung der Truppe seien die Strukturen in der Praxis noch nicht darauf ausgelegt, auf die Bedürfnisse und die Situation von Start-ups einzugehen.
Dazu gehört in die Regel eine dünne finanzielle Ausstattung in der Gründungsphase. Eine Forderung aus der Gründerszene ist deshalb eine bessere staatliche Förderung von zukunftsträchtigen Technologien. Das würde wiederum auch private Investoren ermutigen, mit einzusteigen, so der Bitkom.
Gesetze verhindern direkten Austausch
Ein grundlegendes Problem ist laut Frank Negretti, dem Sprecher beim bayerischen Aerospace-Cluster, dass Unternehmen in Deutschland nicht direkt mit den „Endanwendern“, also Soldaten aus der Praxis, ins Gespräch kommen dürfen. Dies sei gesetzlich unterbunden. So will der Staat eigentlich verhindern, dass es zu Mauscheleien kommt.
Die Kehrseite, so Negretti: Der bisherige Beschaffungsweg sei deswegen kompliziert und langsam. Die Truppe meldet einen Bedarf an und reicht diese Anforderung an die Beschaffungsbehörde BAAINBw in Koblenz weiter, die dann wiederum eine Ausschreibung startet. Umgekehrt sei es aber gerade für Start-ups kaum möglich, mit radikal neuen Technologie-Ideen auf die Bundeswehr zuzugehen. Das aber bremse die eigentlich gewünschte Innovation bei der Armee aus, so Negretti. Vereinfacht gesagt: Da es mit vielen Innovatoren überhaupt keinen direkten Kontakt gebe, könne die Bundeswehr gar nicht wissen, was sie nicht weiß.
Goldgräberstimmung
Natürlich wissen auch Experten wie Negretti, dass die „Zeitenwende“ eine Herausforderung für das Beschaffungsamt ist. So gebe es in vielen Unternehmen aus nahezu allen Branchen derzeit eine Art Goldgräberstimmung. Nachdem die kommende Bundesregierung die Verteidigungsausgaben massiv anheben will, ist viel Geld zu vergeben. Die Beschaffungsbehörden würden deshalb mit Kontaktanfragen geradezu überrollt. Beim BAAINBw heißt es auf Anfrage des BR, man sei in den vergangenen Jahren bereits sehr viel schneller geworden als in der Vergangenheit, als die Behörde in einem extrem schlechten Ruf stand. Allerdings brauche es weitere politische Entscheidungen und entsprechende gesetzliche Vorgaben, um die Beschaffung weiter zu beschleunigen und zu entbürokratisieren.
Innovationszentrum in Erding geplant
Grundsätzlich müsse sich die Bundeswehr schneller auf eine veränderte Rüstungslandschaft einstellen, sagt Negretti dem BR. Bisher seien die Prozesse darauf ausgelegt, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die schon seit einiger Zeit am Markt sind. Für Start-ups mit innovativen Technologien und manchmal auch verrückt wirkenden Ideen fehle es dagegen noch an Ansprechpartnern, die wie Lotsen Hilfestellung rund um Beschaffungsfragen bieten könnten.
Hoffnung geben der Branche Pläne für ein Innovationszentrum, das die Bundeswehr in Erding aufbauen will. Dort sollen Start-ups gemeinsam mit etablierten Unternehmen, Forschungseinrichtungen und dem Militär neue Technologien schnell auf ihre Praxistauglichkeit prüfen und dann in die Truppe bringen. Genau eine solche Einrichtung forderte auch die Mehrheit der Befragten in der Studie des IT-Verbandes Bitkom.