Im Zollstreit mit Washington droht die Europäische Union mit Zöllen auf US-Autos und -Flugzeuge, sollten die Verhandlungen mit der US-Regierung scheitern. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Vorschlagsliste der EU-Kommission hervor, die US-Produkte im Wert von insgesamt rund 95 Milliarden Euro umfasst. Zugleich kündigte die Kommission eine Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump an.
Präferiertes Ziel der EU: Verhandlungslösung
„Die EU ist nach wie vor fest entschlossen, eine Verhandlungslösung mit den USA zu finden“, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Gleichzeitig bereiten wir uns weiterhin auf alle Möglichkeiten vor“, fügte sie mit Blick auf die Vorschläge ihrer Behörde für mögliche Gegenzölle hinzu.
Neben Autos, Flugzeugen und Fahrzeugteilen enthält die Liste der Kommission zahlreiche Agrarprodukte, Rohmaterialien und mechanische Geräte. Sie reicht von Truthahn, Lachs und Rosenkohl über Rohöl und Kohle bis hin zu Zahnarztgeräten, Kondomen und menschlichen Haaren für Perücken.
Medikamente von möglichen Zöllen ausgeschlossen
Dabei handle es sich um Vorschläge, betonte ein EU-Beamter in Brüssel. Ziel sei es, vor allem solche Produkte zu treffen, für die es alternative Lieferanten gebe, damit es nicht zu Engpässen komme. So stünden etwa keine Medikamente auf der Liste. Diese geht nun in die Beratungen mit den 27 EU-Ländern, die vor einer Einführung der Zölle mehrheitlich zustimmen müssten.
Bislang hat die EU-Kommission keinen Vorschlag dazu vorgelegt, wie hoch die Gegenzölle sein könnten. Sie würden zu Zöllen hinzukommen, die bereits seit Mitte April feststehen. Dabei handelt es sich um eine kürzere Liste von US-Produkten wie Jeans, Sojabohnen und einige Stahlwaren. Diese Zölle sind derzeit ausgesetzt, um Verhandlungen zu ermöglichen.
Verstoß gegen weltweite Handelsregeln
Trump hat mit einer Reihe massiver Zölle einen weltweiten Handelsstreit losgetreten. Anfang April verhängte er unter anderem einen allgemeinen Zollsatz von 20 Prozent auf Waren aus der EU, den er kurz darauf auf zehn Prozent halbierte. Außerdem werden Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl- und Aluminiumwaren sowie Autos fällig.
Sowohl der allgemeine Zollsatz als auch der US-Zoll auf Autos verstoße aus europäischer Sicht „in eklatanter Weise gegen grundlegende WTO-Regeln“, teilte die Kommission am Donnerstag mit. Mit dem angestoßenen Verfahren wolle die EU bekräftigen, dass diese Regeln „von keinem WTO-Mitglied einseitig missachtet werden können, auch nicht von den USA“.
EU-Handelskommissar warnt vor möglichen weiteren US-Zöllen
Zuletzt hatte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič vor möglichen weiteren US-Zöllen auf europäische Waren gewarnt. Nach seiner Einschätzung gelten auf rund 70 Prozent aller EU-Exporte in die USA inzwischen Zölle zwischen zehn und 25 Prozent. Das entspricht nach Angaben von EU-Beamten europäischen Waren im Wert von rund 370 Milliarden Euro.
Zölle könnten auf 97 Prozent steigen
Neue, von Trump angekündigte Zölle auf Arzneimittel, Halbleiter, kritische Mineralien und Lastwagen könnten diesen Anteil auf 97 Prozent steigen lassen. Das wäre „ein gewaltiges Ausmaß“, so Šefčovič.
Die vorbereiteten Gegenmaßnahmen seitens der EU sind damit weiter längst nicht so umfangreich wie die US-Zölle. Deutlich härter könnte die EU mit Maßnahmen gegen US-Dienstleistungen und Digitalkonzerne zurückschlagen. Dies werde derzeit nicht konkret besprochen, bleibe als Möglichkeit aber auf dem Tisch, sagte ein EU-Beamter.
Zeitfenster bis Mitte Juli
Zusätzlich erwägt die Kommission Einschränkungen einiger Exporte aus der EU in die USA. Dabei geht es unter anderem um die Ausfuhr von Stahl- und Aluminiumschrott. Branchenverbände hatten vor einem Mangel in der EU gewarnt, weil US-Unternehmen in großen Mengen Schrott aus Europa aufkauften.
Für die Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington sehen beide Seiten derzeit ein Zeitfenster bis Mitte Juli. Danach würden die USA nach jetzigem Stand wieder den höheren Zollsatz von 20 Prozent erheben. Dieses Datum will die EU für die Einführung möglicher Gegenmaßnahmen in jedem Fall abwarten.
Trump lehnt bislang Aufhebung der Zölle ab
Um den Handelsstreit zu entschärfen, hat die EU den USA bereits eine Vereinbarung zur gegenseitigen Aufhebung aller Zölle auf Industriegüter angeboten. Die Trump-Regierung ist darauf bislang aber nicht eingegangen.
Neben Zolldeals gelten neue Abkommen als Option. Nach Einschätzung der EU-Kommission könnten die EU und Trump etwa einen neuen Deal zum Ausbau amerikanischer Exporte von Flüssiggas (LNG) schließen. Zudem wäre es möglich, mehr Militärtechnik und Agrargüter zu importieren, um das US-Handelsdefizit mit der EU abzubauen.
Mit Informationen von AFP, Reuters und dpa