Was, wenn die Inflation bei niedrigeren Zinsen wieder steigt?
Was ist also mit der Inflation? Hat auch sie ihren Höhepunkt schon hinter sich gelassen? Das fragt man sich vor allem in Deutschland, weil die Verbraucherpreise hier und in anderen Euroländern zuletzt wieder gestiegen sind.
Grundsätzlich wartet die Notenbank nicht ab bis zum letzten Tag, bis bei der Inflation wieder die Zielmarke von zwei Prozent erreicht ist. Das wäre zu spät, denn die Geldpolitik wirkt immer erst mit einer Verzögerung von mehreren Monaten bis zu zwei Jahren.
Der Europäische Zentralbankrat vertritt die Einschätzung, dass die Inflation inzwischen deutlich nachgelassen hat seit ihrem Höhepunkt in der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Damit lässt sich aus Sicht der Notenbank die Zinswende begründen. Bis die ihre Wirkung richtig entfaltet, könnte sich der Preisanstieg weiter verlangsamen. Wenn das nicht der Fall ist und der Preisdruck zunimmt, gibt es vorerst keine weiteren Zinssenkungen.
Ungewöhnlich hoher Realzins bremste Konjunktur zuletzt deutlich
Es ist in der Tat so, dass der wichtigste Leitzins mit 4,5 Prozent zeitweise um bis zu zwei Prozent höher war als die Inflationsrate. Der Realzins in diesem Zusammenhang – aus Zinsen minus Inflation – war und ist damit deutlich höher als zu normalen Zeiten.
Bei der EZB geht es aktuell um die Frage, wie viele weitere Zinssenkungen vor diesem Hintergrund noch gerechtfertigt wären. Auch wenn dieser erste Schritt sich gut begründen ließ, muss das für einen zweiten oder dritten nicht gelten. Zwischenzeitlich könnte die Inflation weiter steigen oder die Wirtschaft sich auch ohne eine weitere Lockerung der Geldpolitik positiv entwickeln.
Wie viele weitere Lockerungen der Geldpolitik sind noch nötig?
Bis vor wenigen Tagen waren sich die meisten Experten einig darin, dass der Juni-Termin beim Europäischen Zentralbankrat gleich eine ganze Serie von Zinssenkungen einleiten würde. Zwei Drittel der professionellen EZB-Beobachter rechneten mit insgesamt drei Schritten in diesem Jahr: Einem zweiten nach der Sommerpause im September und dem letzten dann auf der Dezembersitzung des Zentralbankrats.
Doch angesichts stark steigender Löhne durch den Fachkräftemangel, die vor allem Dienstleistungen verteuern, hält sich die Inflation hartnäckig, nicht nur in Deutschland. Darauf hat auch die Bundesbank bereits hingewiesen. Die kleine Rezession in der zweiten Jahreshälfte 2023 hat die Wirtschaft erfolgreich bewältigt und auch die Industrie wächst wieder. So gesehen erscheinen Zinssenkungen als nicht so dringlich. Es besteht demnach keine Zeitnot rasche Entscheidungen zu treffen.
Alleingang der EZB diesmal ohne US-Notenbank Federal Reserve
Dann ist da noch die US Federal Reserve, die als wichtigste Notenbank der Welt ihre Zinsen nun doch nicht wie zunächst erwartet senkt. Ende 2023 hatte Fed-Chef Jerome Powell bereits solche Zins-Schritte angekündigt. Dann ruderte Powell wegen der hohen Inflation in den USA wieder zurück. Aktuell weiß niemand, wann dort die Zinswende kommt.
Es kam bisher selten vor, dass die Geldpolitik in Europa nicht der in den USA gefolgt ist. Aus diesen Gründen könnte auch die EZB vorsichtiger geworden sein und einen möglichen zweiten Schritt im September verschieben. Vor den nächsten Entscheidungen will EZB-Präsidentin Christine Lagarde erst einmal weitere Wirtschaftsdaten sammeln.