Es ist Montag, 10 Uhr im Klinikum Freising. Die ersten Patientinnen und Patienten warten bereits. Unter ihnen auch Astrid Wildgruber. „Ich habe telefoniert und telefoniert, aber nachdem kein Facharzt zu haben war„, habe sie „Abhilfe schaffen müssen“. Sie wolle nicht länger ausfallen bei Arbeitgeber und Familie, so die Bankbetriebswirtin. „Jetzt muss ich leider die Damen und Herren hier in der Notaufnahme beschäftigen.“
Erreichbarkeit der Arztpraxen: 44 Prozent der Patienten unzufrieden
Astrid Wildgruber ist kein Einzelfall. Auch der GKV-Spitzenverband, eine Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, bemängelt, dass die Wartezeiten auf Arzttermine häufig zu lang seien. 25 Prozent der Patienten warten demzufolge länger als 30 Tage auf einen Termin in einer Facharztpraxis. Auch mit der Erreichbarkeit der Praxen sind 44 Prozent der Befragten unzufrieden.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz bemängelt dies: „Die Ärzte haben keine Zeit für die Patienten, weil wir eine sehr ungerechte Verteilung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben.“ Einige Hausarztpraxen würden in Deutschland 800 Patientinnen und Patienten versorgen, andere mehr als 2.500.
„Irgendwann fährt das System mit Vollgas gegen die Wand“
Die Folgen machen sich in Bayerns Notaufnahmen bemerkbar. „Irgendwann fährt das System mit Vollgas gegen die Wand“, prognostiziert Schwester Hildegard. Sie ist eine sogenannte Triage-Fachkraft und sortiert die Fälle nach ihrer Dringlichkeit. Die Fachärzte seien alle überlaufen, und von zehn Patienten, die zu ihr in die Notaufnahme kämen, könnten drei eigentlich genauso gut zum Hausarzt gehen. Die Praxen seien jedoch häufig überlastet oder zu weit entfernt. Das Resultat: Die Notaufnahme werde verstopft, für Fälle, bei denen es sich um richtige Notfälle handele.
„Mich macht das hilflos und wütend“
„Mich macht das hilflos, teilweise wütend“, sagt Astrid Wildgruber, „weil man zahlt ja seine Krankenversicherungsbeiträge“. Tatsächlich ist Deutschlands Gesundheitssystem eines der teuersten der Welt. Nur die USA und die Schweiz liegen laut OECD-Studie vor der Bundesrepublik. „Ich frage mich schon, wo mein Geld, dass ich monatlich bezahle, hingeht“, sagt die Bankbetriebswirtin. Einen schnellen Termin beim Facharzt bekommt sie dafür jedenfalls nicht, dafür müsste sie privat versichert sein, wie ihr Mann. Der kriegt, erzählt Wildgruber, wenn er ein Problem hat, sofort einen Termin bei freier Auswahl. „Bei mir dauert das drei bis vier Monate.“
„Die Versorgung gesetzlich Versicherter – sie wird nicht kontrolliert“
Diese Zustände sind auch bei der GKV bekannt: „Die Diskriminierung der gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten bei der Terminvergabe werden wir nicht länger hinnehmen.“ Allein, es scheint an Maßnahmen zu fehlen, die dies verhindern.
Patientenschützer Brysch fordert mehr Kontrollen: „Die Steuerung (der Patientenanzahl) die eigentlich die Kassenärztliche Vereinigung übernehmen müsste, die findet nicht statt – selbst die Präsenzzeiten von 25 Stunden in der Woche, wo die gesetzlich Versicherten versorgt werden müssen, wird auch nicht kontrolliert – denn die Privatversicherten dürften in diesen 25 Stunden gar nicht behandelt werden.“
Blockieren also Privatpatienten die Termine der gesetzlich Versicherten? Nein, sagt der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Dafür gebe es gar nicht genügend Privatpatienten. Rund 90 Prozent der Menschen in Deutschland seien gesetzlich krankenversichert.
Kann das Primärarztsystem die Situation verbessern?
Abhilfe schaffen soll das geplante Primärarztsystem, bei dem der Hausarzt die Patienten bei Bedarf an den Facharzt überstellt. Schnelle Hilfe beim Hausarzt? Patientinnen wie Astrid Wildgruber wäre damit künftig vielleicht geholfen, damit sie nicht weiterhin den Weg über die Notaufnahme gehen muss.