Trotz massiver zusätzlicher Schulden für Investitionen in Deutschland ist für eine Senkung der Stromsteuer kein Geld da. Zumindest nicht für alle Bürger – für Unternehmen wurde die Maßnahme schon auf den Weg gebracht. Von den Grünen, der AfD und der Linken hagelte es bei der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch deswegen Kritik. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verteidigte das Vorgehen der Regierungskoalition.
Die Enttäuschung auf der einen Seite, die Verteidigungshaltung auf der anderen zeigt: Dieses Beispiel ist ein Klassiker für Theorie und Praxis. Für Wollen und machen. Und für das Zauberwort „Finanzierungsvorbehalt“.
Stromsteuer war „für alle“ versprochen
Im Kapitel „Energiepreise“ steht es im Koalitionsvertrag schwarz auf weiß: Die Koalition werde „als Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken“. Und wenige Seiten später steht sogar eine Zahl dabei: „um mindestens fünf Cent pro kWh“ werde die Stromsteuer „so schnell wie möglich“ sinken. Schnell kam die Senkung tatsächlich auf den Weg, aber eben nur für das produzierende Gewerbe. CSU-Chef Markus Söder kündigte zwar unmittelbar nach dieser Entscheidung an, die Senkung für alle werde zum 1. Januar 2027 kommen. In Berlin aber ruderte die Bundesregierung zurück. Man habe sich nicht auf einen konkreten Zeitraum verständigt, verbesserte ein Regierungssprecher den bayerischen Ministerpräsidenten.
Die Mütterrente für alle kommt
Die Ausweitung der Mütterrente für alle war ein zentrales Wahlkampfversprechen der CSU. Im Sofortprogramm der Bundesregierung war noch von einem Start im Jahr 2026 die Rede gewesen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD stand gar keine Jahreszahl.
Im Koalitionsausschuss Anfang Juli setzte Söder den Start der Mütterrente ab 2027 durch. Alle Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben und freilich auch Väter, die Kinderziehungszeiten in dieser Zeit nachweisen können, bekommen dann wie Jüngere auch drei volle Rentenpunkte statt wie bislang nur 2,5. Im Koalitionsvertrag war festgeschrieben: „Wir werden die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle vollenden.“ Das ist eine sehr konkrete Formulierung, wenn man bedenkt, dass die Mütterrente in der SPD und auch in Teilen der CDU nur wenige Fans hat.
Zauberwort: Finanzierungsvorbehalt
Die Koalition unter Kanzler Merz hat in ihrem Koalitionsvertrag ein Wort eingebaut, das sämtliche Ausgabenwünsche und Vorhaben sofort beenden oder zumindest auf Eis legen kann. Es ist dieser eine kurze Satz in Zeile 1.627: „Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrags stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“ Das ist quasi die Rückversicherung für den Fall, dass eine Regierung feststellt, die Kasse ist doch nicht so voll, wie man dachte. So einfach wollen das aber Experten nicht gelten lassen. Denn wie viel Geld zur Verfügung steht, rechnen die Verhandler einer Koalition bereits im Vorfeld nicht nur einmal durch. Zudem mahnten Demokratieforscher wie Theres Matthies bereits vor dem Start von Schwarz-Rot: „Gebrochene Versprechen brennen sich ein.“
Nach „werden“ und „wollen“ kommt „prüfen“
Prinzipiell gelten bei Vorhaben von Regierungen drei Abstufungen in der Auswahl der Verben: „wir werden“, „wir wollen“ und „wir prüfen“. Bei „werden“ darf man relativ sicher sein, dass alle Koalitionspartner dieses Vorhaben zügig vorantreiben. Es sei denn, der Finanzierungsvorbehalt kommt dazwischen. Bei „wollen“ kann es sein, dass ein Koalitionspartner Bedenken hat und nicht unbedingt dafür brennt. Und „prüfen“ ist ein Ausweichwort für Projekte, die es zwar in den Koalitionsvertrag schaffen, aber möglicherweise nie umgesetzt werden, weil sie innerhalb der Koalition stark umstritten sind.
So heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir prüfen die Videoüberwachung auf Schlachthöfen.“ Die Ampelregierung hatte ein solches Gesetz bereits auf den Weg gebracht, aber nicht verabschiedet. CDU und CSU waren schon damals dagegen.
Gebrochene Versprechen auch im Freistaat
Gebrochene Versprechen gibt es indessen nicht nur auf Bundesebene: Auch die bayerische Staatsregierung hatte 2018 den Bau von 10.000 neuen Wohnungen im Freistaat versprochen. Der damals neu gewählte Ministerpräsident Söder hatte dieses ambitionierte Ziel bis 2025 ausgegeben. Ende des Jahres 2024 musste die Staatsregierung einräumen, dass die staatliche Baugesellschaft Bayernheim das auf keinen Fall schaffen wird.