Der Brennerpass zwischen Österreich und Italien ist einer der wichtigsten Alpenübergänge. 14 Millionen Pkw und 2,5 Millionen Lkw fahren jährlich über die Brennerautobahn. Da die Strecke baufällig und auch die Zugstrecke über den Brenner ausgelastet ist, wird eine neue Bahnstrecke unter den Alpen gebaut: der 55 Kilometer lange Brenner-Basistunnel.
Mit ihm entsteht die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt. Durch zwei Röhren sollen in Zukunft Züge zwischen den beiden Ländern rollen. 18 Jahre nach dem Start der Arbeiten ist jetzt ein wichtiger Bauabschnitt auf der italienischen Seite beendet: Die Tunnelbohrmaschine „Flavia“ hat die Staatsgrenze zu Österreich erreicht. Eigentlich hätte sie deutlich früher dort eintreffen sollen.
„Flavia“ eingeklemmt: Ein halbes Jahr Bauzeit ging verloren
Die 200 Meter lange und mehrere tausend Tonnen schwere „Tunnelfabrik“ musste sich insgesamt 14 Kilometer durch das Gebirge „fressen“. Mit ihrem Bohrkopf hat sie eine Röhre mit über zehn Meter Durchmesser aus dem Gestein gearbeitet. Gleichzeitig wurde der Fels mit Betonringen ausgekleidet. Pro Tag schaffte „Flavia“ zwölf bis 14 Meter – bis vor zwei Jahren.
3,5 Kilometer vor der Staatsgrenze ging plötzlich nichts mehr. Die Tunnelbohrmaschine war eingeklemmt; steckte in einer geologischen Störungszone fest. „In Störungszonen kann das Gebirge zerbrochen und völlig zermahlen vorliegen“, erklärt Prof. Kurosch Thuro von der Technischen Universität München. Dadurch kann die frisch gebohrte Röhre nachgeben, bevor sie durch eine Beton-Auskleidung gesichert ist.
Technisches Problem bremste „Flavia“ aus
Die Geologen kannten diese Störungszone. Unter anderem, weil vor den beiden Hauptröhren ein kleinerer Erkundungsstollen gebohrt wurde. Aber mit derartigen Schwierigkeiten hatte man nicht gerechnet. Die Tunnelbohrmaschinen für den Erkundungsstollen und die zweite Hauptröhre waren in diesem Bereich gut durchgekommen. „Flavia“ hatte allerdings ein technisches Problem, das sie ausbremste. Auf die stehende Maschine konnte das Gestein einen immer größeren Druck ausüben.
Es brauchte mehr als ein halbes Jahr, um „Flavia“ wieder flott zu kriegen. Dafür musste man den umgebenden Fels zunächst stabilisieren. „Über eine Reihe von kleinen Bohrungen wurde eine Wasser-Zement-Mischung hineingepresst“, sagt der zuständige Geologe Stefan Skuk. „Der Zement härtet aus, und das Gebirge wird wieder fest.“ Dann rückte „Flavia“ ein Stück voran. Nach einigen Wiederholungen erreichte sie festes Gebirge, und nahm wieder Kurs auf die Staatsgrenze.
Bauvermesser nötig für präzise Bohrung
Nun ist „Flavia“ am Brenner angekommen. Für diese Punktlandung haben die Bauvermesser gesorgt. Sie können im Berg nicht auf Satelliten-Navigationssysteme zugreifen. Deshalb müssen sie von Punkten außerhalb der Tunnelröhren ausgehen, deren Positionen genau bestimmt wurden. Nur so ist es möglich, dass die einzelnen Tunnelabschnitte zentimetergenau aneinander passen. Während auf italienischer Seite die drei Röhren bereits am Brenner angekommen sind, haben die Tunnelbau-Teams, die ihnen von Norden entgegenkommen, noch Arbeit vor sich. „Im Herbst wird erstmals ein Tunnel durchschlagen. Dann gibt es von italienischer und österreichischer Seite eine Verbindung“, sagt Andreas Ambrosi von der Projektgesellschaft für den Brenner-Basistunnel.
Zuerst wird der Erkundungsstollen durchgängig sein. Für die beiden Haupttunnel ist es voraussichtlich im nächsten Jahr so weit. Bis tatsächlich Personen- und Güterzüge durch die Tunnel rasen, wird es wohl noch bis 2032 dauern. Bei 250 Stundenkilometern brauchen Reisende dann von Innsbruck nach Franzensfeste nur etwa 25 Minuten. Im Moment sind es noch 80 Minuten.