„Das ist der berühmte Schlitten“, witzelt Ernst Bayerlein, als er aus dem Kofferraum seines Autos seinen uralten Holzschlitten mit einer Sitzbespannung aus Rupfenbändern auslädt. Das Holz ist sichtbar verwittert und mit Schrauben mehrfach fixiert. Dazu einen robusten Rucksack aus dickem Baumwollstoff mit Lederträgern. Das war alles, was die Mutter von Ernst Bayerlein aus den Ruinen ihres Wohnhauses in der Nürnberger Südstadt retten konnte. Damals – im Oktober 1944 – beim Angriff von alliierten Bombern auf Nürnberg.
Aus Angst zu stottern angefangen
„Ich war dreieinhalb Jahre alt und habe nachmittags noch geschlafen“, erzählt Ernst Bayerlein. „Dann ist meine Mutter – wir haben im zweiten Stock in einem Mietshaus gewohnt – ins Zimmer gerannt gekommen: Ernst, die Flieger kommen! Dann bin ich so erschrocken. Und, ich habe schon ganz gut sprechen können – aber, ich habe dann das Stottern angefangen. Und das hat einige Zeit gedauert.“
Insgesamt wurden die Bayerleins siebenmal in Nürnberg ausgebombt. Gegen Kriegsende landete die Familie – der Vater von Ernst war 1941 gefallen – in einem Behelfsheim in Kalchreuth, einer Ortschaft nördlich von Nürnberg. Mitte April 1945 kamen dort US-Soldaten an: „Am 16. oder 17. sind amerikanische Soldaten gekommen und haben eine Hauskontrolle gemacht. Die sind auch in das Behelfsheim gekommen und haben Personenkontrollen gemacht. Die wollten den Pass sehen. Und sie haben geschaut, ob sich Soldaten verstecken und haben nach Gewehren gesucht. Aber bei uns war doch nichts. Meine Mutter hat ja nichts gehabt.“
Die Zeitzeugen werden immer weniger
Seine Geschichte erzählt Ernst Bayerlein dem Kurator des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Alexander Schmidt. Ernst Bayerlein ist mit 83 Jahren einer der Zeitzeugen, die noch vom Ende des sogenannten 1000-jährigen Reichs berichten können. Doch die Siegesparade der US-Armee am 20. April 1945 auf dem Nürnberger Hauptmarkt erlebte Bayerlein nicht mit.
Man wisse, dass sich die Stadt natürlich ergeben habe, berichtet Alexander Schmidt. „Aber, dass die US-Armee, obwohl die Kämpfe noch nicht komplett beendet waren, trotzdem an Führers Geburtstag die Stadt der Parteitage besiegt hat – das wollten sie schon mit so einer Parade feiern. Sie haben ja nicht in jeder Stadt ’ne Siegesparade gemacht.“ Am Folgetag sprengten US-Soldaten das große Hakenkreuz an der Zeppelintribüne auf dem Reichsparteitagsgelände im Stadtsüden. Dieses Bild ging um die ganze Welt.
Brennholz mit dem Schlitten transportiert
Das Kriegsende markierte auch eine Wende für Ernst Bayerlein. Mit seiner Mutter ging er zurück in die Ruine des Wohnhauses in der Südstadt. Zusammen kletterten sie in den Keller und bargen den Schlitten. Um Brennholz für die kalten Nachkriegswinter zu sammeln – mit einem Brennholz-Sammelschein – und zum Behelfsheim im Kalchreuth zu transportieren. So überstanden die Bayerleins die kalten Nachkriegswinter.