Wegen des Klimawandels breitet sich der Borkenkäfer in immer höhere Gebirgslagen aus. Auch die Waldbrandgefahr steigt dort. Doch ohne stabilen Bergwald kommen Hänge leichter ins Rutschen, es drohen Steinschlag, Lawinen oder Murenabgänge. Wie der alpine Bergwald auf steigende Temperaturen, weniger Niederschlag und mehr Wind reagiert, untersucht der Forstwissenschaftler Rupert Seidl von der Technischen Universität München (TUM) mit seinem Team.
Im Nationalpark Berchtesgaden zeigen sich bereits Veränderungen, sagt Seidl: „Die Bäume wachsen besser, weil es seltener Kälte und lange Schneeperioden im Winter gibt. Aber gleichzeitig sterben die Bäume auch schneller ab.“ Seine Langzeitbeobachtungen machen solche Veränderungen, die sogenannte „Ökosystemdynamik“, messbar und ermöglichen valide Zukunftsprognosen.
Bergwälder geraten unter Druck
Der Nationalpark Berchtesgaden ist dabei ein ideales Forschungsgebiet, weil sich rund um den Watzmann der Bergwald ungestört entwickelt. Abgestorbene Fichten sind bereits ein Teil des Waldbilds. In den Lichtungen auf Höhe des Königssees wachsen vor allem Buchen und andere Laubbäume nach. Aber auch in der alpinen Mischwaldzone zwischen 850 und 1400 Höhenmetern breitet sich die Buche weiter aus. Sogar über ihre bisherige Grenze, beobachtet Seidls Team.
Bei Waldinventuren vermessen die Forschenden den Wald nach einem festen Raster. Sie erfassen in einzelnen Abschnitten Daten zu jeden Baum und auch dessen Gesundheitszustand. Auch das Vorkommen anderer alpiner Pflanzen sowie von Pilzen und Tieren sind für die TUM-Forschung interessant.
Digitaler Zwilling für den Nationalpark Berchtesgaden
Auf Basis dieser Waldinventuren haben die TUM-Forscher ein realitätsgetreues Wald-Modell entwickelt. Damit können sie herausfinden, welche Baumarten dem Klimawandel im Gebirge am besten trotzen. Aber auch, ob der Bergwald langfristig seine Funktionen als CO2-Speicher und als Lebensraum für alpine Tiere und Pflanzen erfüllen kann. Um die Veränderungsmuster in der Zukunft zu analysieren, hat das Team am Lehrstuhl für Ökosystemdynamik und nachhaltiges Waldmanagement ein besonderes Simulationsmodell entwickelt: „iLand“ (externer Link).
In „iLand“ laden die Forscher Fernerkundungsdaten (externer Link), die beim Überfliegen des Nationalparks von der TUM regelmäßig gesammelt werden. Die Forscher testen dann beispielsweise die Auswirkung von Störungen des Ökosystems durch Windwurf oder Feuer.
Entscheidend für die Forscher ist es, in „iLand“ diese Informationen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über biologische Mechanismen zu verknüpfen. Beispielsweise, wie Baumarten um Ressourcen wie Licht und Wasser konkurrieren, oder ab welcher Temperatur sich die Photosynthese verändert. Rammer nutzt künstliche Intelligenz, um die relevanten Informationen zu verarbeiten und ihren Effekt auf den digitalen Bergwald zu analysieren.
Prognose: In 200 Jahren wächst stabiler Mischwald
Ein Baum kann über 100 Jahre alt werden. Fällt alter Bestand beispielsweise einem Sturm oder dem Borkenkäfer zum Opfer, dauert es Jahrzehnte, bis junge Bäume auf seine Größe heranwachsen und ähnliche Funktionen übernehmen können. Immerhin: „Der Bergwald im Nationalpark kann sich an den Klimawandel anpassen“, erklärt Rupert Seidl, „hier und in den nördlichen Alpen dürfte es weiterhin genug Niederschläge geben.“
Nachhaltig klima-resilient ist laut Forschung ein Mischwald aus alten und jungen Bäumen verschiedener Baumarten, wie er sich im Nationalpark Berchtesgaden natürlich entwickelt. Doch der alpine Bergwald hinkt dem rasanten Klimawandel hinterher, auch außerhalb von Naturschutzgebieten. Deshalb wird sich zumindest vorübergehend auch seine Schutzfunktion verringern, betont Seidl: „Buchen und Laubbäume generell schützen weniger vor Lawinen im Winter als immergrüne Nadelbäume. Ahorn und Lärche können gut vor Steinschlag schützen.“ In einem bewirtschafteten Schutzwald, sollten deshalb bei Nachpflanzungen verschiedene Baumarten kombiniert werden.
Mit „iLand“ arbeiten Forscher weltweit
„iLand“ kann Ausbreitung, Wachstum und Tod einzelner Bäume in verschiedenen Klimaszenarien analysieren – und das über Jahrzehnte und Jahrhunderte auf einer Fläche von bis zu 100.000 Hektar, also ganzer Nationalparks. Das macht das Simulationsmodell der TUM bislang einzigartig. Angesichts der globalen klimatischen Veränderung erweitern deshalb Forscher in Europa, Japan und den USA den Open-Source-Code von „iLand“ mit landestypischen Baumarten und Szenarien. Praktisch nutzbare Erkenntnisse fließen beispielsweise in Smartphone-Apps, die Waldbesitzern und Förstern je nach Standort geeignete Baumarten vorschlagen.