Eine erschreckende Meldung machte in den letzten Wochen Schlagzeilen: Einer aktuellen Untersuchung (externer Link) zufolge erkranken junge Menschen, die 1990 geboren wurden, im selben Alter etwa doppelt so häufig an Darmkrebs wie jene, die 1950 geboren wurden. Die Zahlen sorgten für Aufregung: Was ist passiert, dass sich bei den Jüngeren plötzlich Darmkrebsfälle häufen? Auch Prof. Michael Hoffmeister, Epidemiologe und Darmkrebsexperte am Deutschen Krebsforschungszentrum, findet die Entwicklung zwar „alarmierend“, verweist aber auf die sehr niedrigen absoluten Zahlen.
Tatsächlich mehr Darmkrebsfälle bei jungen Menschen, aber …
Dass Darmkrebsfälle bei Menschen unter 50 Jahren tatsächlich häufiger werden, ist bereits seit einigen Jahren bekannt – und auch medizinisch und epidemiologisch durchaus relevant, so Prof. Hoffmeister: „Nach vielen Jahrzehnten des Nichtanstiegs gibt es nun plötzlich einen Anstieg von Darmkrebs bei jungen Erwachsenen, und das ist etwas, mit dem man nicht gerechnet hat.“ Nach Angaben des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (externer Link) stieg zwischen 1999 und 2020 die Inzidenz für Darmkrebs bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren in den USA um 333 Prozent an, bei jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 Jahren um 185 Prozent. Schwindelerregende Zahlen.
Absolute Zahl an Darmkrebserkrankungen bei Jüngeren niedrig
Aber ein Blick auf die absoluten Fallzahlen relativiert das Bild: Nach Angaben der American Cancer Society (ACS) (externer Link) erkrankten im Jahr 2023 in den USA 0,2 von 100.000 Personen zwischen 15 und 19 Jahren und 0,8 von 100.000 Personen zwischen 20 und 24 Jahren an Darmkrebs. Während das relative Risiko, unter 50 an Darmkrebs zu erkranken, also zugenommen hat, sei die „absolute Zahl bei den Jungen immer noch vergleichsweise niedrig“, so Prof. Hoffmeister. Zum Vergleich: Nach ACS-Angaben liegt die Inzidenz für Darmkrebs bei 50- bis 54-Jährigen bei 60 und bei 75- bis 79-Jährigen bei 174 Erkrankten pro 100.000 Personen.
Relativzahlen ohne Kontext können also falsche Eindrücke erwecken und eine reale Entwicklung überzeichnen, wenn sie ohne absolute Bezugsgröße dargestellt werden. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop kennt dieses Phänomen von vielen Studien, vor allem aus dem Lebensmittelbereich: „Eigentlich herrscht in der Kommunikation der Ergebnisse ganz klar ein wissenschaftlicher Konsens“, mahnt er, „nämlich, dass man auch die absoluten Risiken und die absoluten Zahlen kommuniziert und nicht nur die relativen. Denn die relativen sind immer sehr hoch, also kommunikativ beeindruckend, und die absoluten Zahlen und absoluten Risiken sind oft sehr klein.“ Und das sei das Problem beim Schlagzeilenschreiben: „Dementsprechend juckt das dann niemanden.“
Zusammenhang oder Beweis? Korrelation ist nicht Kausalität
Vor allem, wenn über Ergebnisse aus sogenannten Beobachtungsstudien berichtet wird, bleibt die Darstellung der tatsächlichen Aussagekraft der Ergebnisse oft auf der Strecke. Beobachtungsstudien analysieren, ob in einer Bevölkerung zwei Faktoren gleichzeitig auftreten. Zum Beispiel hoher Kaffeekonsum und Sodbrennen. Doch ob es sich bei solchen Zusammenhängen um bloße Zufälle, indirekte Einflüsse oder tatsächliche Wirkmechanismen handelt, lässt sich ohne sorgfältige Prüfung nicht sagen. Kausalitäten, also wissenschaftliche Beweise, können nur durch klinische Studien erbracht werden, also wenn beispielsweise zwei Probandengruppen ein Medikament beziehungsweise ein Placebo verabreicht und die Wirkung dokumentiert wird.
Da dies bei vielen Fragestellungen, gerade im Bereich Ernährung, nicht machbar ist, müssen Forschende oft auf Datenbanken zugreifen und können nur Korrelationen beschreiben. Wie problematisch das sein kann, demonstrierte eine Metaanalyse (externer Link) aus dem Jahr 2012. Zwei US-Forscher analysierten, ob gängige Lebensmittel in wissenschaftlichen Einzelstudien mit Krebs in Verbindung gebracht werden. Ergebnis: Für 80 Prozent der Lebensmittel fanden sie wissenschaftliche Studien, die ihnen eine krebsfördernde oder krebshemmende Wirkung zusprachen – teils sogar beides.
So lässt sich das Risiko für Darmkrebs verringern
Was bedeuten die Zahlen zu steigenden Darmkrebsfällen unter Jüngeren nun aus Sicht der Medizin und Epidemiologie? Darmspiegelung ab 15 Jahren? Prof. Michael Hoffmeister winkt ab: „Wir würden hier auf keinen Fall alle zur Koloskopie schicken, das würde auch unsere Kapazitäten total auslasten und Plätze wegnehmen in Altersgruppen, wo wir das sehr viel mehr brauchen.“ Er rät zu einem gesunden Lebensstil: „Bei Darmkrebs spielen Lebensstilfaktoren eine größere Rolle als bei manch anderen Krebsarten, also Übergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum und geringe körperliche Aktivität. Das sind Faktoren, die man auch in jungen Jahren beherzigen kann, um das Risiko für Darmkrebs zu vermindern.“
Empfehlung: Zur Früherkennung von Darmkrebs ab 50 Jahren
Aktuell wird vom Bundesgesundheitsministerium (externer Link) eine Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Darmkrebs ab 50 Jahren empfohlen. Aufgrund der steigenden Fallzahlen in jüngeren Altersgruppen wird derzeit diskutiert, ob das schon früher – mit 45 Jahren – durchgeführt werden sollte. Diesen Rat hat auch das in den USA für Prävention zuständige Expertengremium gegeben. Die Krankenkassen in Deutschland übernehmen die Kosten derzeit allerdings erst ab 50 Jahren.