Die Weichen für spätere Bildungschancen werden bereits im Kleinkindalter, also in der Familie und der Kita gestellt. Das zeigt eine heute veröffentlichte Langzeiterhebung (externer Link) des sogenannten Nationalen Bildungspanels (NEPS, englisch National Educational Panel Study), an dem zahlreiche Forschungsinstitute und führende Universitäten in Deutschland beteiligt sind.
Die Analyse, für die Forschende Daten von rund 3.500 Kindern im Alter zwischen sieben Monaten und zwei Jahren analysiert haben, zeigt vor allem: Das Fundament für sprachliche und soziale Kompetenz wird in der frühkindlichen Phase gelegt.
Frühkindliche Förderung vergrößert Wortschatz der Kinder
Für ihre Untersuchung besuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Kinder dreimal: einmal im Alter von sieben Monaten, dann im Alter von 17 Monaten und schließlich im Alter von zwei Jahren. Dabei beobachteten sie die Interaktion der Kinder mit ihren Eltern, vorwiegend den Müttern.
Es zeigte sich: Zweijährige aus Familien mit geringem Einkommen und einem niedrigen Bildungsniveau verfügten aus einer Liste von 260 Wörtern über einen Wortschatz von 97 Wörtern. Gleichaltrige aus besser gestellten Haushalten nutzten hingegen 158 Wörter, also rund 60 Wörter mehr.
Unterstützung der Kleinkinder hilft auch für Sozialverhalten
Aber nicht nur die sprachliche Entwicklung der Kinder konnten die Eltern durch entsprechende Interaktion – wie etwa das gemeinsame Ansehen von Bilderbüchern und dem Vorlesen – beeinflussen. Auch bei der sozialen Entwicklung der Kleinkinder zeigten sich Unterschiede – je nachdem, in welchem Umfeld das Kind aufwuchs.
Besser gestellte Eltern können Stress der Kinder besser abfangen
So konnten Eltern mit weniger Belastungen, weniger Stress, emotionale Schwankungen ihrer Kinder besser abfangen als solche, die mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. „Was wir in der einen Analyse sehen, ist, dass Familien ab einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich das schwerer abfangen können, insbesondere, wenn sie dann noch ein Kind haben, das vom Temperament her ein bisschen schwieriger ist, das sehr schnell negative Emotionen zeigt und die Familien an die Belastungsgrenze bringt“, bestätigt Manja Attig, Mitautorin der Studie im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Wenn mehrere Belastungsfaktoren wie finanzielle Schwierigkeiten oder ein niedriges Bildungsniveau zusammenkämen, könnten das die Eltern kaum noch kompensieren, ist die Beobachtung der Wissenschaftlerin vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e. V. (LIfBi) in Bamberg.
Bildung wohl noch stärker abhängig von elterlicher Unterstützung
Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass der Zusammenhang von Bildung mit dem sozio-ökonomischen Hintergrund der Eltern möglicherweise in ihrer Datenerhebung „sogar noch unterschätzt“ werde, da sich die Langzeitstudie nicht auf eine Risikogruppe fokussiert habe. Darauf verweist auch Andy Schieler, Institutsreferent des Instituts für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit Rheinland-Pfalz (IBEB) der Hochschule Koblenz.
Chancengleichheit bei der Bildung: Was passieren muss
Um künftig Kindern aus bildungsfernen und finanziell schwachen Haushalten bessere Zukunftschancen zu ermöglichen, plädiert Manja Attig, die beim LIfBi den Arbeitsbereich frühkindliche und schulische Bildung leitet, „die Kinder, die Familien eher zu fördern“. Schließlich hätten auch andere Studien gezeigt, „dass die Kinder diese Unterschiede, die sie im frühen Alter und im Kindergartenalter erwerben, meistens auch mit in die Schule nehmen.“ Und die Schulen könnten diese Defizite später kaum kompensieren, betont sie.
Derzeit untersuchen Forschende etwa mit dem Projekt BRISE – einer Bremer Initiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung – welche Maßnahmen sich eignen, um benachteiligte Familien mit ihren Kleinkindern bestmöglich zu unterstützen. Dass weitere Studien dafür notwendig sind, sieht auch Bildungsforscher Schieler vom IBEB.
Der Wissenschaftler warnt aber gleichzeitig davor, die jetzt veröffentlichten Ergebnisse zu „pauschalisieren“. „Auch da weisen die AutorInnen darauf hin, dass es durchaus so ist, dass es auch viele Eltern gibt, die zwar vergleichsweise wenig sozioökonomische Ressourcen haben, aber denen es trotzdem gelingt, sensitiv und anregend, mit den Kindern zu interagieren“, sagt Schieler.