Dass man Schall auch fühlen kann, ist erstmal nicht verwunderlich, sagt der Zellbiologe Masahiro Kumeta von der Universität Kyoto (externer Link) in Japan. Denn Schall sei ein einfaches physikalisches Phänomen: „Es überträgt Schwingungen durch alle möglichen Stoffe, wie durch Luft oder Wasser zum Beispiel.“ Und solche mechanischen Wellen kann man eben nicht nur mit den entsprechenden Organen im Ohr wahrnehmen und im Gehirn verarbeiten, sondern auch fühlen. Es sind ja sozusagen winzige Erschütterungen.
Auch Zellen im Reagenzglas reagieren auf Schall
Offenbar reicht dieser Schalldruck sogar aus, um auf Zellebene direkte Reaktionen auszulösen – ohne dass das Gehirn diese Reize erst verarbeiten muss. Masahiro Kumeta untersuchte das in seinem Labor. Er beschallte unterschiedliche Zelltypen mit Tönen: Knochenzellen, Muskelzellen und Fettzellen zum Beispiel. Dabei probierte er verschiedene Frequenzen und auch eine Art Rauschen aus.
Anschließend untersuchte er, was sich genau in der Zelle tut, wenn die Schallwellen auf sie treffen – also wie die Zellen den äußeren mechanischen Reiz in ihr Inneres weiterleiten und was sie dort im Zellkern auslösen. Denn im Zellkern lagert das Erbgut: die Informationen darüber, was die Zelle tun oder wie sie sich entwickeln soll. Je nach Ausprägung der Gene unterscheiden sich diese Informationen von Zelle zu Zelle.
Umwandlung in ungesunde Fettzellen durch Klang unterdrückt
„Zuerst habe ich herausgefunden, dass ungefähr 190 Gene ihre Ausprägungen durch die akustische Stimulation verändert haben“, erzählt Kumeta. Interessant war die Wirkung auf einen bestimmten Zelltypen: auf die sogenannten Präadipozyten. Das sind die Vorläuferzellen, die sich in ungesunde Fettzellen umwandeln können. Wenn Kumeta den Präadipozyten seine Klänge vorgespielt hat, wurde diese Umwandlung unterdrückt. Das hatte er so nicht erwartet.
Könnte man Schall medizinisch nutzen?
Kumeta kann sich vorstellen, dass man diese Wirkung eines Tages auch medizinisch nutzt. Adipositas oder Fettleibigkeit behandele man am effizientesten mit einer Operation. Und das bedeute hohe medizinische Kosten. „Ich meine auch die physischen und psychischen Kosten für die Patienten“, sagt Kumeta, „Wenn Schall die Behandlung verbessern könnte, wäre das ein Gewinn.“
Weniger enthusiastisch sieht das der Ernährungsmediziner Alexander Bartelt. Der Professor an der TU München (externer Link) beschäftigt sich damit, wie der Fettstoffwechsel auf molekularer Ebene funktioniert. Er glaubt nicht, dass man über Beschallung übermäßige Fettzellen verhindern kann. Im Gegenteil: „Starker Lautstärke, Krach oder Klangwellen ausgesetzt zu sein kann sich eventuell negativ auf die Fettzellen auswirken. Etwas zum Abnehmen ist das sicherlich nicht.“
Wie reagieren Zellen im Menschen?
Trotzdem überraschte es auch Bartelt, dass Zellen in der Kulturschale so reagieren. „Es wäre daher interessant zu sehen, was das auch im Organverbund beim Menschen bedeuten kann.“
Masahiro Kumeta konzentriert sich aber erstmal auf seine im Reagenzglas kultivierten Zellen. Als Nächstes möchte er ihnen noch mehr unterschiedliche Klänge vorspielen. Naturgeräusche zum Beispiel. Oder Musik. Wobei er bei Musik keine besonderen Reaktionen in der Zelle erwartet. Musik, sagt er, sei schließlich dazu gemacht vom Gehirn verarbeitet zu werden.