In Deutschland kaum bekannt, in den USA ein Star. Der 1950 in London geborene Chris Claremont revolutionierte in den 70er- und 80er-Jahren das Superhelden-Genre. Heute wird er 75 Jahre alt. Sein Heft „X-Men #1“ gilt mit einer Auflage von 8,1 Millionen bis heute als das am besten verkaufte Marvel-Heft aller Zeiten. Allerdings bot der Verlag den Comic mit verschiedenen Covern an, sodass Komplettsammler sich mehrere Ausgaben kaufen mussten. Spannender ist, dass es komplexe Figurenzeichnungen und sich über mehrere Hefte erstreckende Geschichten gewesen sind, die ihn bei den Fans so beliebt gemacht haben. Statt Kloppereien zwischen Gut und Böse verhandelt Claremont im Comic große Fragen.
Seine Geschichten sind das Kraftwerk des Marvel-Universums
Viele der bekanntesten X-Men-Filme greifen direkt auf Storylines zurück, die Claremont geschrieben hat. Zum Beispiel die „Dark Phoenix Saga“, in der die Superheldin Jean Grey wegen ihrer unkontrollierbaren Kraft zu einer Bedrohung der Menschheit und auch ihrer Freunde wird. Auch wenn für die Filme viele Details verändert und geglättet wurden (die schwarze Ororo ist keine Nebenfigur, sondern führt die Uncanny-X-Men an), stammen die Kernkonflikte um den Umgang mit der eigenen Macht und den eigenen Traumata eindeutig aus Claremonts Vorlagen.
Deutlich wird das auch bei Claremonts Interpretation von Magneto als tragischer Holocaust- Überlebender. In einem Gespräch im Center for Jewish History hat Claremont dargelegt, wieso er diesen X-Men-Gegenspieler mit dieser Hintergrundgeschichte ausgestattet hat: „Als junger Mann habe ich neben meinem Praktikum bei Marvel auch zwei Monate in einem Kibbuz in Israel verbracht. Viele der Kibbuzim waren Überlebende der Shoah.“ Ebenso dürfte eine Rolle gespielt haben, dass Claremonts Mutter Jüdin war.
Magneto fürchtet die Vernichtung der Superhelden durch die Menschen, weil die sich vor der Kraft der Mutanten ängstigen – egal wie oft sie die Welt gerettet haben. Um die Superhelden zu schützen, ist er bereit die Menschheit zu unterdrücken und zu bekämpfen. Aber wie so oft bei Claremont: Als er im Kampf gegen die X-Men beinahe deren jüngstes Mitglied Kitty umgebracht hat, eine Jüdin, bricht er zusammen und bekennt, viel zu weit gegangen zu sein in seinem Kampf.
Auch Superhelden leiden unter Traumata
Neben solchen komplexen Charakteren gibt es noch etwas, das Claremont auszeichnet: „Alle meine Figuren haben ein Trauma“. Ororo wurde als Kind lebendig begraben, Nightcrawler hat verstümmelte Füße und Hände und wurde deswegen als Kind im Zirkus bloßgestellt. Und wie im echten Leben: Sie werden diese Traumata nicht los. Sie müssen ständig mit Beeinträchtigungen kämpfen. So stark sie sind, die Mutanten sind nicht übermenschlich. „Das ist das Zentrum der X-Men. Es geht nicht darum, wie sie aussehen, sondern wie sie sich verhalten.“ Erwachsener als bei Claremont ist das Superhelden-Genre selten.

