Hubert Fleischmann ist über und über voll mit Ameisen. Sie krabbeln ihm auf dem Rücken herum, schlüpfen unter den Kragen seines Hemds und laufen über die Handschuhe. „Man muss bloß aufpassen, dass sie nicht auf die Brille kommen und in die Augen spritzen“, sagt er gelassen. Fleischmann nimmt es in Kauf, denn er will Waldameisenkolonien retten. Von denen, so stellen es er und seine Mitstreiter der Ameisenschutzwarte Nabburg fest, gibt es immer weniger.
Waldameisen umsiedeln – eine zeitaufwändige Arbeit
Fleischmann lässt sich bekrabbeln, denn er will ein Ameisennest umsiedeln. Es steht an der Einfahrt eines Hofes in Braunsried im Landkreis Schwandorf. Mit der Hand schaufelt er das Nest mit allem Material und allen Tieren in Plastiktonnen. Sind die Tonnen voll, fährt er sie zu einem ausgewählten neuen Standort für das Nest, und das immer wieder über Wochen hinweg.
Weil Ameisennester bis zu zwei Meter tief in die Erde reichen, muss er warten, bis die Insekten in ein paar Tagen von ganz unten nach oben gekommen sind, um das Nest zu reparieren – dann können auch die umgesiedelt werden. Um die Umsiedlung hat der Landwirt selbst gebeten: Es tat ihm leid, mit den schweren Landmaschinen immer über die Ameisen zu fahren. Dazu kommt: die Bäume neben dem Nest, auf denen die Ameisen die Rindenläuse melken, müssen bald gefällt werden.
60 Prozent weniger Ameisenkolonien
Die Ehrenamtlichen der Ameisenschutzwarte kontrollieren regelmäßig Waldameisenkolonien in der mittleren Oberpfalz. Von den 3.800 Nestern, die sie ursprünglich kartiert hatten, sind heute nur noch 40 Prozent vorhanden. Kolonien, die noch im Oktober gesund aussahen, sind im Frühjahr oft leer. Fleischmann vermutet den Klimawandel als Hauptursache – die Ameisen verhungern über den Winter.
Denn die langen Trockenperioden durch den Klimawandel setzen den Bäumen zu. Dadurch produzieren die weniger Saft. Vom Saft aber ernähren sich Rindenläuse und von deren Honigtau wiederum die Ameisen. Keine Rindenläuse – weniger Ameisen. Dazu kommt: sind die Winter zu warm, fangen die Königinnen zu früh mit der Eiablage an, im Januar, wenn es noch gar kein Futter für die Ameisen gibt. Die Kolonie verhungert dann bis ins Frühjahr.
Europaweites Waldameisenprojekt
Die Ameisenschutzwarte arbeitet mit Melvin Opolka zusammen, einem Wissenschaftler der Universität Bayreuth, der dem Ameisensterben auf den Grund gehen will. Opolkas Forschung ist Teil eines europaweiten Projekts, das erstmal Daten sammeln soll, wie viele Waldameisen es gibt und wie es den Tieren geht. Eigentlich forscht der Wissenschaftler zu Ameisengästen. Bis zu 125 Tierarten können als Parasiten oder in Symbiose in so einem Ameisenbau leben, Käfer, Milben, Spinnen. Opolka nennt so einen Bau einen Biodiversitäts-Hotspot. Geht die Kolonie verloren, sterben auch alle anderen Tierarten darin.
Für sein Projekt kartiert Opolka Ameisennester und untersucht die Waldameisen. Auch interessierte Bürger können sich beteiligen: auf der Webseite www.monitant.de (Externer Link) können sie eine App herunterladen und Waldameisenkolonien melden.
Wichtig für die Ökologie
Der Rückgang der Waldameisenkolonien ist ein besorgniserregendes Zeichen für den ganzen Wald. Denn Waldameisen spielen eine enorm wichtige Rolle für die Ökologie: Eine Reihe von Pflanzen ist auf sie zur Vermehrung angewiesen. Waldameisen fressen Baumschädlinge, etwa bestimmte Spinnerraupen, sie lockern den Boden und düngen ihn, so Opolka. Deshalb bildet die Ameisenschutzwarte Nabburg auch Ameisenheger aus – in einem zweitägigen Lehrgang lernen Interessierte, welche Arten es gibt und wie man ihnen helfen kann.