Im Internet mal schnell neue Schuhe bestellen oder eine Überweisung machen – für viele ist das selbstverständlich. Wenn man aber beispielsweise eine Sehbeeinträchtigung hat, teils schwierig bis unmöglich. Zumindest, wenn Websites nicht barrierefrei sind. Das soll sich jetzt aber ändern.
Behörden: Online bereits barrierefrei
Für Behörden und Ministerien gibt es schon länger die Pflicht, barrierefreie Websites anzubieten. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz BFSG, müssen jetzt private Unternehmen nachziehen. Die Idee: Barrierefreie Websites können nicht nur Menschen mit Behinderung helfen, sondern auch Personen, die nicht so viel Erfahrung mit digitalen Medien haben.
Seniorin testet Online-Lebensmitteleinkauf
Rentnerin Marlene ist relativ fit, was Online-Bestellungen angeht. Wenn die 78-Jährige mal nicht weiterkommt, geht sie zur ‚Digitalen Hilfe‘, einer Einrichtung, die Münchner Bürgern bei Fragen zum Internet kostenfrei unterstützt. Noch ist Marlene gut zu Fuß, Einkäufe erledigt sie selbst. Aber was, wenn sich das ändert? Testweise will sie Lebensmittel online einkaufen.
Als erstes öffnet sie die Website von Rewe. Benedikt Aigner von der ‚Digitalen Hilfe‘ unterstützt sie. Marlene beginnt eine Einkaufsliste mit verschiedenen Alltagsartikeln abzuarbeiten. Die Lebensmittel landen schnell im Warenkorb. Doch ganz ohne Hürden klappt es nicht. Dazu kommen die Farbkontraste: Die sind für sie nicht deutlich genug.
Menschen mit Behinderung geht es teils ähnlich. Konfrontiert mit Marlenes Schwierigkeiten erklärt Rewe, man arbeite an der Umsetzung des Gesetzes, also zum Beispiel an der Verbesserung von Kontrasten. Die Umstellung erfolge in den kommenden Tagen, so das Unternehmen.
Stiftung Pfennigparade prüft Unternehmens-Webseiten
Die Stiftung Pfennigparade in München testet deshalb Unternehmens-Websites auf ihre Barrierefreiheit. Denn diese sieht das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Unternehmen vor, die digitale Produkte und Dienstleistungen online anbieten. So müssen etwa Bank- und Finanzdienstleister oder Urlaubs- und Reisevermittler ihre Angebote online barrierefrei gestalten. Ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und höchstens zwei Millionen Euro Jahresumsatz.
Barrierefrei sind Webseiten etwa durch anpassbare Schriftgrößen, leichte Sprache und deutliche Farbkontraste. Kontrollieren soll das eine gemeinsame Marktüberwachungsbehörde der Länder. Bei Verstößen kann es zu Abmahnungen, Vertriebsverboten oder Bußgeldern von bis zu 100.000 Euro kommen.
Viele Unternehmen sind noch nicht so weit
Einige Unternehmen haben sich schon frühzeitig um die Umsetzung des Gesetzes gekümmert. Zum Beispiel der Ökoenergieanbieter Polarstern aus München. Für den Geschäftsführer Florian Henle hat das nicht nur wirtschaftliche Gründe. „Wir sind gemeinwohlorientiert und zertifiziert“, so Henle. „Deswegen wollen wir unsere Website, die eigentlich unser Produkt ist, möglichst vielen Menschen zugänglich machen.“
Viele Unternehmen sind längst noch nicht so weit: Erst durch das Gesetz lassen sie ihre Website überhaupt testen. „Wir bekommen sehr viel mehr Anfragen“, bestätigt Susanne Possinger von der Pfennigparade. „Mit dem Stichtag ist die Unruhe sehr groß. Da sind einfach große Ängste da, dass jetzt abgemahnt wird.“
Behindertenbeauftragter Kiesel sieht Nachbesserungsbedarf
Konkrete Zahlen, wie viele Unternehmens-Webseiten in Deutschland aktuell schon barrierefrei sind, gibt es nicht. Bei Online-Shops zeigt eine nicht repräsentative Auswertung, dass von 65 getesteten Online-Shops in Deutschland nur etwa ein Drittel barrierefrei ist.
Auch bei Websites von öffentlichen Stellen wie Behörden und Ministerien gibt es laut einem EU-Bericht Mängel. Obwohl sie schon seit September 2020 digital barrierefrei sein müssten. Was bedeutet das für die Unternehmen? Holger Kiesel, der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, sieht hier Nachbesserungsbedarf. „100 Prozent ist sehr, sehr, sehr schwierig, aber wenn sich die Unternehmen noch stärker bemühen, zumindest näher an die 100 Prozent zu kommen, sind wir schon einen Schritt weiter.“