Über 160 Filme in 10 Tagen. Neben der Berlinale ist das Filmfest München das wichtigste deutsche Filmfestival. Gestern ist es zu Ende gegangen. Und die Veranstalter ziehen eine positive Bilanz. Demnach haben mehr als 91.000 Besucher die rund 600 Filmvorführungen und Veranstaltungen besucht. Im vergangenen Jahr waren es noch 71.000.
Dieser Anstieg lag allerdings nicht nur an einem gesteigerten Absatz an Kinotickets (mehr als 4.000), sondern vor allem an einer neuen Zählweise. Denn in die offizielle Bilanz einbezogen wurden in diesem Jahr erstmals die zahlreichen Netzwerkveranstaltungen der Filmindustrie in München – also Gesprächs- und Diskussionsreihen, die in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut wurden, um so das Image des Filmfests als einem wichtigen Branchentreff weiter voranzutreiben.
„Sentimental Value“ und „Zweigstelle“: Publikumspreise
Auf die für ein Filmfestival nicht ganz unwichtige Frage, welche Filme beim Publikum besonders gut ankamen, bekam man beim Filmfest in München eine ziemlich deutliche Antwort. Per Onlineabstimmung konnte das Publikum in zwei Kategorien abstimmen: internationaler Film und nationaler Film.
Auf internationaler Ebene begeisterte das Drama „Sentimental Value“, der neue Film des Norwegers Joachim Trier, der von einer entfremdeten Familie und der Unfähigkeit zur Kommunikation handelt und schon bei seiner Weltpremiere im Mai in Cannes für Begeisterungsstürme und 15 Minuten andauernde Standing Ovations gesorgt hatte.
In der Kategorie nationaler Film hat „Zweigstelle“ von Julius Grimm gewonnen. Er ist Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film in München. „Zweigstelle“ ist sein Spielfilmdebüt und eine absurde Komödie über das Leben nach dem Tod. Es geht um eine Clique, die in den Alpen tödlich verunglückt und in einer bayerischen Jenseits-Behörde landet – ein Art Beamten- und Bürokratiehölle.
Vier Förderpreise: erstmals nur an Frauen vergeben
Neben dem Audience Award wird beim Filmfest München zudem der Förderpreis Neues Deutsches Kino verliehen – eine der wichtigsten Auszeichnungen für den deutschen Filmnachwuchs. Vergeben wird der Förderpreis in vier Kategorien: für Regie, Produktion, Drehbuch und Schauspiel. Und diese vier Preise gingen dieses Jahr erstmals in der Geschichte des Filmfests ausschließlich an Frauen.
„Karla“: Beste Regie und bestes Drehbuch für BR-Film
Die BR-Koproduktion „Karla“ überzeugte gleich in zwei Kategorien: Christina Tournatzés wurde für ihre Regiearbeit ausgezeichnet, Yvonne Jasmin Görlach für das beste Drehbuch. „Karla“ spielt Anfang der 1960er-Jahre in München und handelt von einer Zwölfjährigen, die ihren eigenen Vater wegen sexueller Gewalt anzeigt und vor Gericht bringt. Ein Film, der übrigens auf wahren Begebenheiten basiert. Und der sensibel und facettenreich darstellt, gegen welche Widerstände Betroffene von sexueller Gewalt zu kämpfen haben. Weil ihnen nicht geglaubt wird, weil ihnen die Worte im Mund umgedreht werden – erst recht einem Kind wie Karla, dem dann schnell vorgeworfen wird, dass die Fantasie mit ihr durchgegangen sei.
„Sechswochenamt“: Beste Produktion und bestes Schauspiel
In den Kategorien beste Produktion und bestes Schauspiel hat den Förderpreis Neues Deutsches Kino das Drama „Sechswochenamt“ bekommen, das während der Corona-Pandemie spielt und in dem Hauptfigur Lore den Krebstod ihrer Mutter verarbeiten muss. Also sowohl emotional als auch auf organisatorischer Ebene: Beerdigung, Haushaltsauflösung, das Erfüllen des letzten Willens, Pandemie-Probleme on top. Auch hier geht es um gesellschaftliche Widerstände, und um den scheinbar aussichtslosen Kampf der Protagonistin. Hauptdarstellerin Magdalena Laubisch spielt das mit einer umwerfenden Mischung aus Wut, Erschöpfung und Panikattacke, und hat mehr als verdient den Förderpreis für das beste Schauspiel gewonnen. Erst recht, wenn man bedenkt, dass sie wie auch alle anderen aus dem Team von „Sechswochenamt“ keinen Cent mit dem Film verdient hat.
Denn dem Film wurden keine Fördergelder bewilligt, und es gab auch keinen Sender, der die Produktion finanziell unterstützt hat – also hat Regisseurin und Drehbuchautorin Jacqueline Jansen selbst die Produktion übernommen, hat private Sponsoren gesucht und mit dem so gesammelten Geld dann dieses Herzensprojekt umgesetzt. Und dafür gab’s dann eben nicht nur den mit 20.000 Euro dotierten Förderpreis für die beste Produktion, sondern auch den Fipresci-Preis, also den Preis der internationalen Filmkritik.