2014 kommt die Sinnkrise. Da befindet sich Alin Coen eigentlich noch auf dem Höhepunkt ihrer musikalischen Karriere – aber der Erfolg fühlt sich plötzlich oberflächlich an. Die Möglichkeiten, mit Musik wirklich etwas zu bewegen, scheinen zu begrenzt. Vielleicht gerade weil sich bis zu diesem Punkt alles sehr geschmeidig gefügt hat: 2007 hat die Hamburgerin mit mexikanischen Wurzeln während des Studiums in Weimar ihre Band gegründet.
Schon ein Jahr später avancierte sie durch Auftritte in der Internet-Musiksendung „TV Noir“ zum Geheimtipp und Publikumsliebling. 2010 Debütalbum und Inas Nacht, 2011 GEMA-Musikautorenpreis, Bundesvision Song Contest, ausverkaufte Tourneen. 2013 das mit Spannung erwartete zweite Album und dann: hört Alin Coen einfach auf mit der Musik.
Deutsche Musikindustrie gerechter machen
Coen sucht nach etwas – wie sie selbst sagt – Sinnvollerem: Sie macht ein Praktikum bei Greenpeace und studiert Wasserressourcenmanagement. Nur, um dann, während sie eigentlich an ihrer Masterarbeit sitzen sollte, doch wieder neue Lieder zu schreiben.
2020 meldet sich Alin Coen also mit dem Album „Nah“ zurück. Und anstatt den Planeten zu retten, konzentriert sie sich jetzt darauf, wenigstens die deutsche Musikindustrie zu einem gerechteren Ort zu machen: Sie ist Gründungsmitglied des Netzwerks Music Women Germany, das sich für Gleichberechtigung einsetzt. Die Betreuungskosten für ihren 2017 geborenen Sohn schreibt sie kurzerhand als Posten in ihren Förderantrag bei der Initiative Musik und schafft so einen Präzedenzfall, von dem Musikerinnen und Musiker mit Kindern bis heute profitieren.
Nicht Anprangern, sondern Verbessern
2021 analysiert sie über mehrere Tage das Programm einiger großer deutscher Radiosender, um sich selbst ein genaues Bild davon zu machen, wie eklatant das Ungleichgewicht zwischen gespielten Künstlern und gespielten Künstlerinnen ist. Mehrere Programmverantwortliche kontaktiert Alin Coen in der Folge persönlich, um darüber zu sprechen. Weil es ihr nicht ums Anprangern geht, sondern ums Verbessern. Und weil sie ganz offensichtlich daran glaubt, dass es möglich ist, Dinge in die Hand zu nehmen und zu verändern – anders als die Programmverantwortlichen, mit denen sie spricht: „Ich hab‘ das Gefühl, die würden das gerne auch besser machen eigentlich, aber die fühlen sich alle so, als ob sie nix ändern können dran.“
Songs wie private Briefe
Das eigene Label der Alin Coen Band übrigens heißt: „Pflanz einen Baum“. Dabei kommt ihre Musik, sagt sie, von einem anderen Ort als ihr Engagement. Ihr Folk ist kein gesellschaftskritischer Liedermacher-Folk, sondern wahnsinnig intim und privat, konsequent zwischenmenschlich. Keine politische, sondern emotionale Graswurzelarbeit. Neben ihrer besonderen Stimme dürfte das der Hauptgrund für Alin Coens anhaltenden Erfolg sein: Dass ihre Songs klingen wie äußerst private Briefe, die eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind.
Was zu guter Letzt aber neben emotionaler Intimität und politischem Aktivismus nicht unerwähnt bleiben soll: Wie tight und groovy die Alin Coen Band auch aufspielen kann – nachzuhören unter anderem auf dem Livealbum „Alles was ich hab“. Oder heute Abend live zu sehen. Um 21:30 Uhr spielt Alin Coen mit Band auf dem Bardentreffen in Nürnberg (externer Link) in der Kirche St. Katharina. Bis Sonntag sind in der Stadt auf acht Bühnen Künstlerinnen und Künstler aus den verschiedensten Ecken der Welt zu sehen: von Frankreich bis Brasilien, von den USA bis nach Marokko.