Wer schon mal auf einem Wanda-Konzert war, kennt es: das Gefühl alles loszulassen und sich von der Musik, der Gemeinschaft, dem Zusammengehörigkeitsgefühl tragen und euphorisieren zu lassen. Amore! Wenige Bands können das so erzeugen und haben das so kultiviert wie Wanda aus Wien: „Konzerte sind noch so ein Ur-Raum. Da leben alle ihre Triebe aus, da sind alle gleich“, sagt Wanda-Sänger Marco Wanda, der die Geschichte der Band nun im Buch „Dass es uns überhaupt gegeben hat“ veröffentlicht hat.
Marco Wanda trägt Brille beim Interview, er wirkt ruhiger und gefestigter als auf der Bühne oder in den Anfangsjahren der Band. Das Buch, das er geschrieben hat, mache ihn schon irgendwie stolz, sagt er. Er habe es lange mit sich herumgetragen: „Dieses Buch war zwangsläufig. Ich habe jetzt den Eindruck, ich habe es schon zehn Jahre geschrieben. Und dann der Entstehungsprozess letztes Jahr von Mai bis August: In wenigen Wochen habe ich es einfach heruntergeschrieben“, erzählt Wanda im Gespräch mit dem BR.
Eine Art Happy End
Das Buch ist wie die Band: intensiv, getrieben, leidenschaftlich. Man identifiziert sich schnell, vor allem als weißer Mann in ähnlichem Alter. Marco Wanda nimmt uns mit in ein totes Wien der 2000er-Jahre, in dem ein paar unreife Jungs, die sich regelmäßig besaufen und durch die Straßen ziehen, Musik machen und davon träumen, Rockstars zu werden: „Das Gefühl, dieser entleerten Wiener Langeweile irgendetwas entgegenhalten zu müssen. Irgendetwas musste passieren. Dass wir es später sein würden, was passierte, habe ich mir da noch nicht vorstellen können“, schreibt Wanda.
Im Herbst 2014 geht plötzlich alles sehr schnell. Wanda bringen regelmäßig die Wiener Ringkneipen zum Kochen, sie lernen den Musikmanager Stefan Redelsteiner kennen und gehen gleich mit ihrem Debütalbum „Amore“ durch die Decke. Schon nach wenigen Monaten spielen sie vor 15 000 Menschen in der Wiener Innenstadt. Marco Wanda beschreibt es so: „Der Aufstieg ans Licht und dann der Fall und die Ernüchterung – und irgendwo eine Art Happy End, wenn man so will.“
Koks und Krebs
Bis zum vermeintlichen Happy End schwankt die Band zwischen Auftritts-Euphorie und Backstage-Leere. Regelmäßig saufen sich die Freunde bis kurz vors Koma. Frönen ganz dem Rock’n’Roll-Klischee: Koks, Ecstasy, DMT, sie zerstören Hotelzimmer und einmal ein ganzes österreichisches Dorf. „Der Bürgermeister tat mir leid. Die Polizisten taten mir leid. Das Dorf tat mir leid. Sie hatten mit unserem Frust nichts zu tun“, schreibt Wanda.
Was die Öffentlichkeit nicht weiß, Keyboarder Christian Hummer ist schwer krank. Krebs. Er stirbt 2022 mit Anfang 30: „Wir haben fünf, sechs, sieben Jahre mit dieser Krankheit, bei der es jede Woche um Leben und Tod ging, gelebt. Ich glaube nicht, dass wir so viele Kompensationsmöglichkeiten hatten, das ist ja Alkohol und Koks. Ich glaube, dass wir das in Anspruch genommen haben, weil wir es anders nicht gepackt hätten. Könnte ich zurückreisen, würde ich uns alle in Therapie schicken. Therapie ist die bessere Kompensation als sich das Hirn rauszukoksen“, sagt Wanda im Gespräch mit dem BR.
Coming-of-Age auf Augenhöhe
Überhaupt, die Jugend und ihre Extreme. Wanda müssen sich gegen Sexismus, gegen Neider und das durchkommerzialisierte Musikbusiness wehren. Das Buch liest sich wie eine Coming-of-Age-Geschichte. Mit klarer Sprache. Klugen Gedanken. Lustigen Anekdoten. Vielen intimen Einblicken. Und immer auf Augenhöhe. Fans bekommen zudem Hintergründe zu Liedern und Texten erzählt: die Tante Ceccarelli aus dem Song „Bologna“ gibt es zum Beispiel wirklich. Sie war eine von Marco Wandas frühen Bezugspersonen und ja: sie hat auch tatsächlich in Bologna „Amore gemacht“.
„Amore“ als Antwort auf Hass, Gewalt, Krieg, das Schlechte in der Welt – so ist das auch in diesem Buch. Manchmal sentimental, aber nie kitschig.