„Es ist quasi eure Bibel“, mit diesen Worten bekommt Charlotte von der alten Assistentin ein Handbuch überreicht. Detailliert ist darin erklärt, wie sich die neue Assistentin, Protagonistin des neuen Romans von Caroline Wahl, um den Verleger zu kümmern hat.
Manipulativer Verleger …
Der Verleger, das ist Ugo Maise. Ein Mann, der Nudelsuppe nur ohne Nudeln ist und Daunenkissen in Hotelzimmern verabscheut. Und das sind noch die unproblematischsten Regeln, die Charlotte zu beachten hat.
Schnell wird ihr klar: Als Assistentin soll sie nicht nur Verlagsdinge regeln. Sie muss Ugo Maise umsorgen, bewundern, für ihn da sein und für ihn mitdenken – und das täglich und rund um die Uhr. Etwa, wenn er sich abends per Videoanruf aus seinem Hotelzimmer bei ihr meldet. („Sie wollte den Verleger nicht im Unterhemd sehen, sie wollte nicht die nackten Arme ihres Chefs sehen. Aber es spielte keine Rolle, was sie wollte.“)
Private Fragen zu ihrem Liebesleben, zufällige Berührungen, Kommentare über ihr Aussehen – immer öfter überschreitet der Verleger Grenzen. Und Charlotte spielt das Spiel mit, entwickelt, mehr noch, den Ehrgeiz, für Ugo Maise die ideale Assistentin zu sein. Diese Dynamik habe sie interessiert, sagt Wahl im Interview – „dass man gar nicht mehr handelt, wie man es von sich selbst, erwartet.“
… trifft auf ehrgeizige Assistentin
Manipulation und Kontrolle sind die Herrschaftsinstrumente des Verlegers Ugo Maise. Er ist inkompetent, sprunghaft und narzisstisch und alle im Haus wissen, dass sein, Zitat, „Verschleiß an Assistentinnen“, sehr hoch ist.
Dass sich Caroline Wahl ausgerechnet für das Verlagssetting entschieden hat, um diese Geschichte zu erzählen, kommt nicht von ungefähr. Ehe sie selbst mit dem Schreiben anfing, arbeitete sie als Assistentin bei Diogenes in Zürich. In Interviews hat sie schon öfter erzählt, wie unglücklich sie damals gewesen sei. Ihr Romanerstling „22 Bahnen“ war auch sowas wie eine Exit-Strategie für die junge Autorin.
Wahl: Kein autobiografischer Roman
Autobiografisch sei ihr neuer Roman jedoch nicht, betont Wahl. „Das ist nicht meine Geschichte, die ich erzähle, das ist Charlottes Geschichte.“ Sie können zwar nachvollziehen, dass die Leserinnen nach Parallelen suchen, das sei jedoch „der falsche Schritt“, sagt sie. „Ich denke, dass ist kein Einzelschicksal ist, von dem ich erzähle“, so Wahl weiter. „Das, was Charlotte passiert, passiert vielen. Und ich glaube, vielleicht sollte man den Blick eher weiten, als ihn auf diesen einen Verlag dort in der Schweiz zu richten.“
Den Blick weiten – das erreicht Caroline Wahl mit einem erzählerischen Kniff: Als Erzählerin kommentiert sie immer wieder die bisherige Handlung, gibt einen Ausblick auf das, was kommt und vermutet, dass eine Liebesgeschichte Charlotte guttun würde. Caroline Wahl verschafft ihren Leser*nnen damit nicht nur Verschnaufpausen. Sie schafft Distanz, lenkt unseren Blick auf die Charlotte, die mehr ist als nur „Die Assistentin“.
Sie ist eine Frau, der äußere und innere Ansprüche die Beine brechen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Charlotte macht sich kaputt und das schildert Caroline Wahl mit einer Bitterkeit, die weh tut. Sie zeichnet das Bild einer jungen Frau, die stellvertretend für viele steht, die sich in männerdominierten Branchen behaupten wollen. Die nicht die Souveränität und die Sicherheit besitzen, Nein zu sagen. Die den Leistungsgedanken unserer Gesellschaft verinnerlicht haben und dafür Konkurrentinnen eiskalt ausstechen. Denn der Platz an der Spitze ist für Frauen begrenzt.
Der Sound ist düsterer als in Wahls anderen Romanen
Am Ende geht´s Charlotte gut, sagt uns die Erzählerin. Aber kann man dieser Erzählerin trauen, wo sie doch immer wieder Pausen einlegt, zurücktritt und ihre Geschichte mit viel Skepsis kommentiert. Ihre Musik und eine große Portion Glück machen Charlotte schließlich zu einem „kleinen Star“. Sie kann der Verlagswelt entkommen. Das Ende liest sich bisschen wie: Und wenn sie nicht gestorben ist, macht sie heute noch geile Popmusik.
Aber der vielbeschriebene „Caroline Wahl-Sound“ klingt in diesem Buch mehr sarkastisch als humorvoll, der Tonfall ist eher bitter als lakonisch-gewitzt. Caroline Wahl zeichnet keine Utopie, in der Freundschaft oder solidarisches Handeln die Verhältnisse zwischen mächtigen Männern und jungen Frauen ändern. Vielleicht gibt ihr neues Buch genau dadurch einen wichtigen Anstoß, diese Verhältnisse sowohl innerhalb als auch außerhalb der Verlagsbranche so schonungslos zu betrachten, wie sie für junge Frauen tatsächlich sind.