Die Gruppe um den Berliner Aktionskünstler Jakob Margit Wirth und die Künstlerin Zora Hünermann am Aktionsstand „René’s Collapse Collection“ hat einen kleinen Stand aufgebaut – und zwar direkt vor der Bauruine der Alten Akademie in der Münchner Fußgängerzone. Dort läuft ein Video, das die Reise der Künstlergruppe zur Luxusvilla von René Benko am Gardasee dokumentiert. Dort wurde im vergangenen Sommer das Inventar der Villa öffentlich versteigert. Der Privatinvestor sitzt inzwischen in Österreich in Untersuchungshaft. Am Stand in München sind die Privatgegenstände aus Benkos Einrichtung zu sehen, die die Künstlergruppe ergattert hat: von Heinz-Ketchup-Flaschen, über Gläser mit Kapern und Oliven aus Benkos Speisekammer bis zu Hanteln und Box-Handschuhen des Immobilienunternehmers. Die Kunstschaffenden nennen es: „René’s Collapse Collection“.
So wurde die Alte Akademie zur Bauruine
Der Immobilienunternehmer René Benko hatte das denkmalgeschützte Ensemble des ehemaligen Jesuitenkollegs, zu dem auch die Alte Akademie gehört, mit seiner Signa-Gruppe im Erbbaurecht vom Freistaat Bayern übernommen. Seit der Insolvenz des Benko-Imperiums vor zwei Jahren liegt es brach. Das ärgert vor allem Kunstschaffende in München, die verzweifelt nach bezahlbaren Ausstellungsräumen und Ateliers suchen. Bislang konnten keine neuen Investoren gefunden werden. Das könnte sich allerdings bald ändern – vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass bereits Verhandlungen mit neuen Investoren laufen.
Wirth: „Es geht darum, wie in Städten Immobilienpolitik betrieben wird“
Für die Künstlergruppe ist das Thema damit noch lange nicht vom Tisch. Die Signa-Gruppe habe an anderen Orten, an denen sie aktiv war, ähnliche Lücken im Stadtbild hinterlassen. „Es geht um die Art und Weise, wie Immobilienpolitik in Städten betrieben wird, wie Schulden in Kauf genommen werden – ob es jetzt in München ist oder Wien oder Berlin. Das Thema bleibt ja brisant.“
Die Kunstaktion geht noch weiter: Die Künstlerinnen und Künstler machen die Objekte des Privatinvestors wieder zu Geld. Sie haben sie in sogenannte NFTs (kurz für Non-Fungible Token) umgewandelt, also Kryptowerte. Hinter NFTs steckt eine URL auf eine Mediendatei, z. B. ein Bild -in diesem Fall Fotos von den Benko-Objekten, die die Künstler ersteigert haben.
Verkaufsaktion vor der Alten Akademie
Am Abend startet vor der Alten Akademie eine Verkaufsaktion, wo man die NFTs erwerben kann. Die Einnahmen sollen denjenigen zugutekommen, die durch Benkos Immobilienspekulationen viel verloren haben: unzählige Gläubiger wie etwa die Stadtsparkasse München oder auch viele Privatanleger. Jeder NFT-Käufer kann selbst entscheiden, welcher Gläubiger das Geld bekommen soll.
Benkos Erfolgsrezept: Versprechen, Geschichten – und der Glaube daran
Aber den Künstlern geht es noch um etwas anderes: „Es ist eine Möglichkeit, in diese ganze Logik von Signa und René Benko hineinzukommen: NFTs funktionieren ganz ähnlich wie Immobilien. Sie haben an sich erstmal keinen Wert, sondern nur dadurch, dass sie eine Geschichte haben, und dass Leute anfangen, sie interessant zu finden. Dadurch wird der Wert generiert“, erklärt Wirth. Und so habe eben auch René Benko gearbeitet: mit Versprechen, mit Geschichten und mit dem Glauben daran.
Etwas schwer Greifbares greifbar machen
Benko persönlich profitiere nach wie vor noch vom Mythos „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Und dann sei die Frage, wie man so ein abstraktes Thema nicht nur ins Bewusstsein bekomme, sondern erfahrbar mache: „Weil das immer so ungreifbar bleibt – dieses System der Immobilienspekulationen, Kryptowerte etc.“, sagt Wirth.
Wie viel die Aktion tatsächlich bewirken kann, wird sich zeigen. In jedem Fall könnte sie wichtige Themen wie die Immobilienpolitik in Städten, die Privatisierung öffentlicher Räume und den Mangel an Raum für Kunst und Kultur ins Bewusstsein rücken. Und vielleicht bekommen ja auch die diejenigen etwas zurück, die viel verloren haben, weil sie Benkos Geschichten geglaubt haben.