Emily in Paris hat es vorgemacht. Und immer mehr Filme und Serien ziehen nach. Sie heißen „From Scratch“, „My Oxford Year“ oder „Too much“ – und folgen alle derselben, recht einfachen Formel. Eine Amerikanerin kommt nach Europa – und verliebt sich. Die überschaubare Story entfaltet sich vor der malerischen Kulisse von Städten wie Paris, Rom oder Florenz. Eine Art virtueller Bucket-List-Tourismus: Das hat in der Pandemie gezogen – und das zieht noch immer.
Bucket-List-Tourismus in Serie
„David, Baptisterium, den Duomo, den Ponte Vecchio“, alles wolle sie sich ansehen, so schwärmt die von Zoe Saldana gespielte Amy in der Netflix-Mini-Serie „From Scratch“. Ihre ortskundige Freundin kommt gleich zur eigentlichen Sache. Sie solle sich doch das nehmen, was nicht im Reiseführer steht: einen eingeborenen Liebhaber.
Europa als Authentizitätsversprechen
Europa, das ist ein magischer Ort zwischen Handküssen und geöffneten Türen, Einladungen nach Saint-Tropez und unmoralischen Angeboten, die hier nicht übergriffig sind, sondern willkommen. Soweit die amerikanischen Fantasien. Und die clashen nicht etwa mit der Realität; sie werden voll und ganz eingelöst. Kaum sind die Hauptdarstellerinnen aus dem Flieger raus, stehen die charmanten Euro-Boys Schlange. Einfühlsame Calvin-Klein-Models, die einem die Jacke anbieten und selbst gekochtes Risotto ans Bett bringen. Überhaupt spielt die Kulinarik eine wichtige Rolle im Repertoire der europäischen Liebeskunst. Nicht nur Emilys charmanter Nachbar Gabriel ist Koch, sondern auch Italo-Lover Lino in „From Scratch“ ist kulinarisch durchaus beschlagen.
Inzwischen hat sich der Eurokitsch als neues Trendgenre auf Netflix etabliert. Das hat sogar „Girls“-Schöpferin und Serien-Ikone Lena Dunham aus der selbst auferlegten Sendepause zurückgeholt. Ihre im Juli erschienene Serie „Too Much“ gibt sich als Persiflage: eine Amerikanerin in London. Wie sehr hier Klischees wirklich auf die Schippe genommen oder weiter befördert werden, ist schwer zu sagen. Etwa, wenn die Heldin Jessica vor bunten Haustüren in Notting Hill posiert.
„Ich bin Julia Roberts, bitch!“
Die klassische Romcom, die romantische Komödie, mit ihren Klischees und Rollenbildern, hat ihre besten Zeiten hinter sich. Wir waren schon weiter. Eigentlich. Aber die Gen Z hat die literarische Schmonzette wieder für sich entdeckt – und auch die Romcom auf die Bildfläche zurückgeholt. So hetero, so kitschig. So unironisch. Zurück sind die großen Gesten und alten Ideale.
US-Singles sind der Dating-Apps müde, das zeigen Umfragen der vergangenen Jahre. Sie sehnen sich nach der altmodischen Romanze. Nach dem Knistern einer Zufallsbegegnung. Wo gibt es sowas noch? Die Antwort scheint zu sein: nicht in Amerika, wo junge Männer und Frauen nicht nur politisch entzweiter sind denn je. Die Illusionen verfrachtet man nach Europa. Da, wo die Welt noch ein Dorf ist und der Typ von nebenan die große Liebe sein könnte. Tinder braucht hier niemand.
Europa-Sehnsucht als transatlantischer Olivenzweig?
Nach EU-Richtlinien muss Netflix 30 Prozent der Inhalte, die in Europa angeboten werden, auch hier produzieren. Aber dabei ist es der amerikanische Blick, der American Gaze, auf den man setzt. Kritik für den Euro-Fetischismus gibt es, klar, vor allem aus Europa. Absurde Stereotype, die Städte viel zu sauber und geschönt. Eine Fantasy-Kulisse. Vielleicht ist genau das der Punkt. Im historisch-zeitlosen Setting sind nicht nur Zauberei und Drachen möglich. Sondern auch Romanzen wie die von Audrey Hepburn oder Julia Roberts.
Vielleicht ist es aber auch ein Signal an die europäische Kundschaft, ein transatlantischer Olivenzweig der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Der sagen will: Die Sehnsucht nach eurem Europa ist groß – trotz aller politischer Signale. Gründe, sich nach Europa zu sehnen, gäbe es jedenfalls genug. Allen voran ein bisschen männliche Galanterie, für die in den USA gerade die Vorbilder ausgehen.