đĄ Peter Jungblut beobachtet fĂŒr BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-KanĂ€le und Social Media, und wertet die EinschĂ€tzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt ĂŒber die Ereignisse diskutieren.
Putin selbst fĂŒhlt sich offenbar in keiner Weise in der internationalen Staatengemeinschaft ausgegrenzt. Auf die Mahnung von UN-GeneralsekretĂ€r AntĂłnio Guterres, Nationen sollten sich wie Familienmitglieder verhalten, sagte der russische PrĂ€sident: âSo machen wir es. Auch in Familien gibt es mitunter Unstimmigkeiten, Skandale und Streit ums Geld, manchmal kommt es sogar zu Handgreiflichkeiten.â Putin sieht sich demnach keineswegs als AuĂenseiter.
âGeld liebt die Stilleâ
Seine Propaganda mĂŒht sich, aus dem BRICS-Treffen im russischen Kasan einen âgroĂ angelegten diplomatischen Sieg fĂŒr Wladimir Putinâ zu machen, wie es der kremlnahe Politologe Sergei Markow ausdrĂŒckte: âJetzt werden wahrscheinlich sogar die USA und die baltischen LĂ€nder aufhören, ĂŒber eine angebliche Isolation Russlands in der Welt zu reden.â ParlamentsprĂ€sident Wjatscheslaw Wolodin triumphierte gar, Russland werde dank Putin zu einem internationalen âMagnetenâ.
Doch selbst Gesinnungsgenosse Markow verwies darauf, dass die AbschlusserklĂ€rung der neun BRICS-MitgliedslĂ€nder, darunter auch Brasilien und SĂŒdafrika, âeher neutralâ formuliert sei: âAnscheinend wurde sie von chinesischen Diplomaten geschrieben, oder von russischen, aber mit Hinweisen aus China und Indien.â
Ăhnlich sieht es der Kolumnist der russischen Wirtschaftszeitung âKommersantâ, Dmitri Drise, dem auffiel, das sich die BRICS-Staaten insgesamt âvielfach gewunden und mit orientalischer Unverbindlichkeitâ geĂ€uĂert hĂ€tten: âGeld liebt die Stille.â Der russische Exil-Politologe Witwali Portnikow meinte sĂŒffisant: âJa, Putin ist im sogenannten globalen SĂŒden nicht isoliert, aber er ist in der Welt insgesamt isoliert. Er muss sich mit Floskeln abspeisen lassen, statt mit echten Allianzen. Die BRICS-Staaten sind reine Deko und Putin muss wie ein studentischer âNerdâ Angst um seine eigene Geburtstagsfeier haben, wenn er die Kommilitonen nicht selbst auf eine Torte einlĂ€dt.â
âAdelige sind beim Geld nicht kleinlichâ
Polit-Blogger Andrei Nikulin ist deutlich sarkastischer. Er verweist darauf, dass beim BRICS-Treffen vertretene LĂ€nder wie Venezuela, Iran, Belarus und Syrien bei Russland tief in der Kreide stehen und eine BonitĂ€t im ânegativen Bereichâ hĂ€tten. Putin halte mit den Vertretern dieser Staaten aus âimperialer Angebereiâ Hof und mĂŒsse das teuer bezahlen: âAdelige sind beim Geld nicht kleinlich und bereit, am Tisch des Herrn gegen ein paar freundliche Worte auch Schmarotzer zu dulden.â Die zahlungsunfĂ€higen Partner Putins wollten ihre Schulden offenbar mit âSchmeicheleienâ abstottern: âWir hoffen, ihr wusstet, wem ihr unser Geld in den Rachen geworfen habt.â
Ăber den Propaganda-Jubel im Kreml hieĂ es bei einem weiteren russischen Blogger: â[Der indische Staatschef Narendra] Modi ist vorzeitig abgereist, [der brasilianische PrĂ€sident] Lula da Silva gar nicht erst gekommen, Xi wollte nicht in eine russische Limousine einsteigen, sie halten am US-Dollar fest und erwĂ€hnten im Abschlussdokument die Ukraine. Ist das Ihrer Meinung nach ein Sieg?â
âRussland ist ein Fremderâ
Der in London lehrende Wladimir Pastuchow rĂ€umte ein, dass Putin ânoch nicht sonderlich isoliertâ sei, vor allem nicht moralisch, weil der globale SĂŒden gegenĂŒber den Anliegen der Ukraine weitgehend âtaubâ sei. Von einem diplomatischen Erfolg des Kremls könne trotzdem keine Rede sein: âDer Gipfel in Kasan erinnert mich an den vor Eitelkeit platzenden Postbeamten Juli Karandyschew [aus dem sowjetischen Spielfilm âEine Wolga-Romanzeâ nach dem Drama âMĂ€dchen ohne Mitgiftâ von Alexander Ostrowski], der die ganze örtliche Schickimicki-Gesellschaft bewirtet. Doch solche Partys enden fĂŒr die Gastgeber nie gut. Die GĂ€ste tanzen, essen, lachen viel und hauen dann mit den Musikanten ab. Der BrĂ€utigam bleibt allein zurĂŒck und darf den bitteren Kelch leeren. Russland ist bei dieser Feier des Lebens, die es selbst organisiert, ein Fremder.â
Ăhnlich despektierlich kommentierte Anatoli Nesmijan (116.000 Follower) Putins vermeintlichen âErfolgâ: âDer Gipfel endete fĂŒr Russland, wenn schon nicht mit einem Scheitern, dann mit null Ergebnissen. Oder mit dem mikroskopischen Erfolg, dass er ĂŒberhaupt stattfand.â Putins DrĂ€ngen auf eine neue internationale Finanzordnung sei fĂŒr alle anderen BRICS-Staaten weitgehend unerheblich, weil sie bis auf Venezuela und dem Iran fest in die bestehende, vom US-Dollar dominierte Weltordnung integriert seien: âNur der Kreml hat kritische und unmittelbare Schwierigkeiten bei der Zahlungsabwicklung. Keine guten Aussichten fĂŒr ihn.â