Stille liegt über dem Reutberg, dem Höhenzug zwischen Tölzer Land und Alpenrand. Dichte Wälder rahmen die barocke Anlage, aus dem nahen Brauereigarten klingt leises Stimmengewirr. Hinter dicken Mauern wird derweil gebetet – so wie seit über 400 Jahren. Lange schien es, als wäre genau damit bald Schluss.
Am Samstag wird Kardinal Reinhard Marx die renovierte Klosterkirche von Reutberg feierlich wiedereröffnen. Ein Festgottesdienst, der mehr bedeutet als den Abschluss eines Bauprojekts: Er markiert das Überleben eines Ortes, der als verloren galt.
Gegründet aus Schicksal – getragen von Spiritualität
Die Geschichte des Klosters beginnt 1609: Auf dem Reutberg nördlich von Sachsenkam im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ließen der Graf Johann Jakob von Papafava und seine Gemahlin Anna eine Marienkirche erbauen, deren Altarraum eine maßgetreue Nachbildung des Heiligen Hauses von Loreto ist. 1618 stiftete die Gräfin noch das Kloster – als Erweiterung zur Lorettokirche.
Die dort heimischen Schwestern des Dritten Ordens des Heiligen Franziskus leben bis heute in strenger Klausur: kontemplativ, schweigend, arm. Auf der Empore der Klosterkirche – früher verborgen hinter einem Chorgitter – verrichten sie ihre täglichen Gebete.
Eine Gemeinschaft altert – das Gebäude zerfällt
1981 zählte der Konvent noch 24 Schwestern, die jüngste war damals 53 Jahre alt. Neueintritte blieben aus. 2012 schlug die Erzdiözese München und Freising vor, die verbliebenen fünf Schwestern aus Fürsorge ins Altenheim zu überführen. Die Gebäude waren renovierungsbedürftig: Die Empore einsturzgefährdet, Balken vom Schwamm befallen, der Putz am Turm bröckelte – seit 50 Jahren war nicht mehr saniert worden.
Wären sie damals gegangen, wäre das Kloster – mitsamt Brauerei, Biergarten und Ländereien – ans Ordinariat gefallen. Es gab bereits Pläne für die Errichtung eines Seelsorgezentrums. Doch ohne die Schwestern, so die Einschätzung vor Ort, wäre die Seele des Klosters verloren gewesen.
Ein Unterstützerkreis greift ein – gegen Widerstände
Was folgte, war ein bemerkenswerter Schulterschluss: Bürger, Pfarrgemeinderäte und Ehrenamtliche schlossen sich zusammen. Die Sorge: Die Erzdiözese habe kein ernsthaftes Interesse an einer echten Wiederbelebung – Neueintritte seien unerwünscht, Angebote verwandter Ordensgemeinschaften abgelehnt worden.
Auf Anfrage des BR teilt die Erzdiözese München und Freising mit, man habe in der Vergangenheit und bis heute „Interesse daran, dass das Kloster Reutberg als ein geistliches Zentrum erhalten und weiterentwickelt wird“. Die Erzdiözese habe sich außerdem auch finanziell durch einen Zuschuss an der nun abgeschlossenen Sanierung der Klosterkirche beteiligt.
Zum Schluss waren damals nur noch zwei Nonnen übriggeblieben, die im Kloster lebten. Doch die Menschen vor Ort kämpften für dessen Erhalt. Sie fühlten sich dem Kloster in fast symbiotischer Weise verbunden. In Reutberg gehe es nicht nur um Steine, sondern um eine jahrhundertealte geistliche Identität: Die Schwestern leben abgeschieden, im Schweigen, nahezu unsichtbar.
Rom wird aktiv – und schickt Schwester Benedicta
Gerald Ohlbaum, Vorsitzender der Unterstützergruppe, organisierte auf eigene Faust einen Termin im Vatikan. Eine Delegation schilderte ihre Sicht der Dinge – und überzeugte. Das vatikanische Dikasterium für das gottgeweihte Leben entzog der Erzdiözese die Verantwortung und ernannte eine „Apostolische Kommissarin“: Schwester Benedicta Tschugg aus Koblenz.
Seit sie das Kloster leitet, treten neue Ordensfrauen ein. Inzwischen leben wieder sechs Schwestern auf dem Reutberg. Auch die Lorettokirche wurde saniert, Spenden aus der Region machten es möglich. Sie ist ein symbolischer Ort: Hier liegt Schwester Maria Fidelis Weiss begraben, der Gebetserhörungen nachgesagt werden; bis heute kommen viele Pilger – in der Hoffnung, dass ihr eigenes Gebet ebenfalls erhört wird.
Ein lebendiger Ort des Glaubens kehrt zurück
Mit dem Gottesdienst am Samstag findet eine jahrelange Phase der Unsicherheit ein vorläufig hoffnungsvolles Ende. Vorläufig, denn von den sechs Nonnen haben bisher nur zwei die „ewige Profess“. Kirchenrechtlich sind jedoch sechs Nonnen, die sich auf Lebenszeit an den Orden binden, als notwendiges Minimum für eine klösterliche Gemeinschaft vorgeschrieben.
Doch für den Moment ist die Klostergemeinschaft wieder handlungsfähig, das spirituelle Leben hat neue Impulse bekommen. Für viele in der Region ist das ein stiller, aber bedeutender Erfolg – und ein Zeichen, dass Tradition und Engagement auch in schwierigen Zeiten Zukunft haben können.