Laut, aber gedämpft, so kann man die Stimmung am Samstagabend im Kreativquartier in München beschreiben. Ein Trauermarsch schiebt sich langsam durch die kalten, dunklen Wege um den Leonrodplatz im Norden der Stadt. Manche tragen Kerzen, manche Umzugskartons. „Kunstschutzgebiet“ steht auf einigen dieser Kartons, und diesem wird hier nachgetrauert: Denn mit dem Schutz der Kunst qua günstiger Mieten wird es nach Ansicht der am Trauermarsch Teilnehmenden bald vorbei sein.
Für ihr kleines Zimmer, in dem sie recherchiert und schreibt, würde die Schriftstellerin Sara Gómez „mehr als doppelt so viel zahlen“ – eine Erhöhung auf dann 16 Euro pro Quadratmeter. Wie rund 300 andere Künstlerinnen und Künstler in den Häusern Leonrodhaus, Haus 2, Empfangshalle und Atelierhaus hat Gómez Ende September eine sogenannte Änderungskündigung zum Jahresende bekommen, verbunden mit dem Angebot, einen neuen Mietvertrag mit einer deutlich höheren Miete zu unterschreiben. Es sind Mieten, die viele hier nicht stemmen könnten, so Gómez.
Was ist eine marktgerechte Miete?
Wie kann das sein? Wo die Stadt diese einmalige Mischung aus Kunstschaffenden und Initiativen im Kreativquartier doch eigentlich erhalten will? Verschickt haben die Kündigungen die Münchner Gewerbehöfe (MGH), eine städtische GmbH, die das Kunstlabor-Areal, einen Teil des Kreativquartiers, 2019 von der Stadt übertragen bekommen hat.
Rudolf Boneberger ist Geschäftsführer der MGH und sagt: Er musste so handeln, denn seine GmbH dürfe keine Räume unter Wert vermieten. „Nachdem sich das Thema ergeben hat, dass man das Gelände dauerhaft erhalten möchte, ging die Diskussion los, was eine angemessene Miete ist.“ Dazu habe die MGH das städtische Bewertungsamt beauftragt, um für das Gelände ein Mietwertgutachten zu erstellen. „Und im Juni dieses Jahres ist das Gutachten eben fertig geworden und die Kollegen haben diese neuen Mieten ermittelt. Und damit war das eben für uns so, dass wir handeln mussten.“
Der Leonrodplatz ist ziemlich beste Lage in München. Gut angebunden, städtisches Flair, gespickt mit Restaurants und Cafés. Kein Wunder, dass eine marktgerechte Miete hier – selbst wenn man den sanierungsbedürftigen Zustand der Gebäude einpreist – höher liegt als das, was viele der Kunstschaffenden bisher zahlen. Für ein 25 Quadratmeter großes Zimmer soll man jetzt mitunter 450 Euro warm zahlen statt bisher 200. Für Münchens Kulturreferent Marek Wiechers sind das immer noch erschwingliche Mieten. „Im Vergleich dessen, was jetzt pro Quadratmeter kalt fällig wird, sind die Preise immer noch sehr moderat und man muss schon auch der Wahrheit halber festhalten, dass viele Künstlerinnen und Künstler in München solche Räume zu solchen Konditionen suchen würden.“
Atelierförderung, aber nur für bildende Künstler
Marek Wiechers verweist auch auf die Atelierförderung der Stadt. Doch um diesen Zuschuss können sich nur bildende Künstler bewerben – Schriftstellerinnen wie Sara Gómez, aber auch Filmemacher oder Musikerinnen müssten sich andere Förderungen suchen. Im Raum steht auch, dass die Stadt eines der vier Häuser von der MGH rückanmietet – und diese Räume dann vergünstigt anbietet. Doch das beträfe eben nur eines der Gebäude. Marek Wiechers ist sich trotzdem sicher: „Ein Aus des Kreativlabors droht definitiv nicht. Und eine Vertreibung in großem Ausmaß von Kulturschaffenden und Künstlerinnen im Gelände droht auch nicht.“
Noch haben die wenigsten einen neuen Mietvertrag unterschrieben. Noch gibt es Hoffnung auf einen Kompromiss, Hoffnung auf ein Fortbestehen des „Kunstschutzes“, wenn auch in abgeschwächter Form – für dieses in München einmalige Biotop.

