„Leider kann Dichtung nicht töten“, klagte die Dichterin Halyna Kruk im Sommer 2022 in einer fulminanten Rede. Kunst ist beharrlich dem Leben zugewandt: Sie schafft Räume der Kreativität und des Austausches, sie ist wegweisend und gemeinschaftsstiftend und damit eine zentrale Grundlage auch während des Krieges. „Art against Artillery“ – „Kunst gegen Artillerie“ ist auch der kämpferische Titel eines Buches, für das die Journalistin Olha Volynska Gespräche mit Künstlern und Kuratoren über den anhaltenden Ausnahmezustand geführt hat.
Die Arbeit mit der eigenen Kriegserfahrung
Dafür habe sie versucht, Künstler zu finden, die weiterhin arbeiten. Einige hätten ihre Arbeit eingestellt, denn angesichts der Zerstörung überall brauche man viel Motivation und Energie, um weiterzumachen. „Die resilienten Künstler verstehen ihre Arbeit als Widerstand, sie stellen der Aggression etwas entgegen. Sie dokumentieren Kriegsverbrechen und arbeiten mit ihrer eigenen Kriegserfahrung, was wiederum anderen hilft, die Kriegsrealität zu bewältigen und zu akzeptieren.“
Da ist beispielsweise der Fotograf Andrii Kotliarchuk aus Kiew. Er dokumentiert den Krieg seit 2014, für seine Serie „Freiwillige – Zeit der Helden“ porträtierte er 320 Soldaten, vor und nach dem Gefecht. Schwerbewaffnet steht eine Soldatin kerzengerade bis zum Oberkörper im Wasser des Dnipro, ein Bild changierend zwischen entschlossener Verteidigung und Verletzlichkeit.
Andrii Kotliarchuk arbeitet analog, mit alten Objektiven, seine Bilder sind immer schwarz-weiß, er versteht sie als Dokument und versuche „Schönheit in allem zu finden, auch im Krieg“, sagt Olha Volynska. „Selbst in sehr riskanten Situationen arbeitet er langsam, immer mit einer schweren Plattenkamera. Viele Fotografen dokumentieren das, was sie sehen, Andrii Kotliarchuk erschafft vielschichtige Symbole. Man schaut in seine Fotos hinein und entdeckt verschiedene Bedeutungsebenen.“
Ukrainische Kultur sichtbar machen
Mit ihrem Buch geht es Olha Volynska vor allem um die Sichtbarkeit ukrainischer Kultur. Sie musste sich aus dem Schatten der russischen befreien und Glanzlosigkeit abschütteln. Und mit der existenziellen Bedrohung durch den Krieg erfasste die Kultur eine neue Dringlichkeit. Das Bedürfnis nach Zeugenschaft, die Ungeheuerlichkeit der Kriegserfahrung und die historischen Parallelen zu der Auslöschung ukrainischer Kultur nach der Revolution führten zu einem Boom des Kunstschaffens.
Waren Institutionen wie das Literaturmuseum in Charkiw vor dem Krieg in Bedeutungslosigkeit verfallen, bescherte ihnen der Krieg eine plötzliche Aufwertung. „Jetzt ist der Moment, wo sich unser gemeinsames kulturelles Gedächtnis formiert“, sagt Literaturhausleiterin Tetiana Pylypchuk. „Art against Artillery“ ist eine Bestandsaufnahme kultureller Selbstbehauptung trotz und gerade wegen des Krieges. Ein Buch des Mutes, voller Widerstandsgeist.

