Ich bin nicht Jesus, auch wenn ich die gleichen Initialen habe. Ich bin einfach nur der Typ, der zuhause bleibt und den Abwasch macht, singt Jarvis Cocker 1998 im Song „Dishes“. Der Sänger von Pulp versteht sich eben auf das Understatement. Seine Texte blicken mit feinem Witz auf die Gesellschaft und die Individuen, die in ihr wirken.
In „Common People“ etwa angelt sich eine reiche Austauschstudentin, die in London Kunst studiert, einen Typen aus der Arbeiterklasse, um mal rauszukommen aus der eigenen wohlstandsverwahrlosten Welt.
Ein Hamsterrad namens Popmusik
Der Song erschien 1995 auf dem Album „Different Class“ – es war das bis dahin fünfte von Pulp und wurde ihr kommerziell größter Erfolg. War „Different Class“ und auch dessen Vorgänger „His ’n’ Hers“ noch verspielt und leichtmütig, so ändert sich auf dem Nachfolger „This is Hardcore“ die Tonlage.
Im gleichnamigen Song geht es um die Entfremdung des Menschen, wenn alles zur Ware wird – Leidenschaft, Intimität, Beziehungen. Und vielleicht war es letztendlich auch das Popgeschäft selbst, das 2002 das vorläufige Ende von Pulp besiegelte. Dieses Hamsterrad, in dem der Künstler am Ende eben auch nicht mehr ist als eine Ware. Damals war Jarvis Cocker Ende 30.
Jetzt 24 Jahre nach dem bisher letzten Album „We Love Life“ ist er Anfang 60 und Pulp sind wie aus dem Nichts wieder da. Das neue Album „More“ klingt an vielen Stellen wie eine Reminiszenz an „Different Class“. Da sind die gleichen breit verzerrten Gitarren, die in der Hallfahne wegfliegen, da sind die gleichen schimmernden Synthieflächen wie 1995 – und doch klingt es nicht nach nostalgischem Blick zurück, sondern nach einem offenen Blick nach vorne.
Die eigenen Gefühle rücken ins Zentrum
Auf „More“ haben sich Pulp als Band zwar nicht neu entdeckt. Musikalisch bedienen sie sich in der Vergangenheit, aber die Geschichten, die Cocker uns erzählt, wirken anders. Die Haltung hat sich verändert – schaute er auf „Different Class“ oder „This is Hardcore“ noch mit einem leicht spöttischen Blick auf die Gesellschaft und ihre Individuen, so tritt auf „More“ die eigene Person stärker nach vorne. Die Umwelt um ihn herum spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.
Es geht nicht mehr um Gesellschaftskritik, sondern um die eigenen Gefühle – die Auseinandersetzung mit diesen. Auf „More“ singt Cocker über das Auseinanderdriften von Beziehungen und natürlich über das Älterwerden. Das Schreiben ohne Gefühle sei für ihn zu einer öden Sache geworden, so sagte es Jarvis Cocker. Und weil er eben nie einfach nur Sänger, sondern auch Erzähler war, verändert sich durch die neue Sprechhaltung der Klang der Songs selbst.
Es ist also kein Wunder, dass sich auf dem insgesamt sehr hörenswerten Spätwerk von Pulp der wohl appellativste Song der Bandgeschichte befindet. Im Song „You Got to Have Love“ ist das Gegenüber von Cocker nicht die fiktive wohlstandsverwahrloste Austauschstudentin aus „Common People“ oder die unerreichbare Deborah aus „Disco2000“, sondern Wesen aus Fleisch und Blut: Wir, die Hörer. Jarvis Cocker spricht uns direkt an und die Botschaft lautet ganz und gar unironisch: „Du musst an die Liebe glauben.“