Als ihr japanischer Verleger die französische Autorin Sidonie vom Flughafen abholt, kommt es zu einer lustigen Szene: Er, ein großer Mann, nimmt nach der Begrüßung ihren Rollkoffer und läuft mit mächtigen Schritten Richtung Ausgang los – sie, die zierliche Frau, trippelt wie eine Geisha hinter ihm her. Auf die Frage an Isabelle Huppert, ob das so im Drehbuch stand, antwortet sie: „Nein, es gab keine Beschreibung dazu. Es entstand aus meiner Interpretation des Raums, auch in Auseinandersetzung mit der Kultur Japans. Ich hatte plötzlich die Idee und machte es dann.“
Isabelle Huppert, die Raumleserin
Wird im Fußball der Nationalspieler Thomas Müller gerne als Raumdeuter bezeichnet, kann man Isabelle Huppert im Kino als Raumleserin oder sogar (technischer ausgedrückt) als Raumlaser definieren: Wie ein höchst präzises Messgerät erfasst sie Strecken, Flächen und sogar Volumen eines Ortes, um all das in ihre Darstellung einfließen zu lassen. Vor der Kamera entwickelt sie eine ungeheure physische Präsenz, so auch in „Madame Sidonie in Japan“. Isabelle Huppert erobert sich sofort die Räume, die sie betritt, ob nun drinnen oder draußen – durchschreitet sie, spielt mit ihnen, beherrscht sie. Auch das macht ihren großen Erfolg aus – wie kaum eine andere ist sie immer einfach: da!
Mit ihrer großen Erfahrung, aber auch intuitiv reagiert sie auf Situationen. Ob sie schneller spricht oder mit mehr Ausdruck, dazu animieren sie manche Szenen. „Das entscheide nicht ich, auch nicht der Regisseur, es entscheidet der Film.“ Der Film – das kann die Geschichte sein, die Dialoge, die Ausstattung, der Raum, die Kostüme. „Es ist nichts Mysteriöses, man spürt es einfach. Oder sollte es zumindest. Wenn man nichts spürt, wird es schwierig. Bisweilen kann aber gerade auch das interessant sein.“