Aus einem Gulli kriecht die Pop-Künstlerin der Stunde: Bei den MTV Video Music Awards 2025 performt Sabrina Carpenter ihren neuen Song „Tears“, eine eingängige Hymne darüber, dass Männer ja nur den Abwasch machen und ein Ikea-Regal aufbauen müssten – und schon liefen Carpenter „Tränen“ die Beine hinunter.
Für ihre Performance der New-Disco-Nummer tanzt die Künstlerin über eine Bühnenkulisse, die dem New York der Achtziger nachempfunden ist. Um sie herum Backstein, Hydranten – und Drag Queens, Performer, die Demonstrations-Schilder in die Luft halten. „Protect the Dolls!“ steht darauf, ein Statement für trans Rechte. Daneben tanzt die 1,52 Meter große Künstlerin aus Quakertown, Pennsylvania, ihre blonden Haare auftoupiert, ihr Körper eingepackt in ein glitzerndes Fransen-Ensemble, das die Stylisten von ABBA stolz gemacht hätte.
Punchline: Männer
Sabrina Carpenter ist eine folgerichtige Konsequenz aller derer, die vor ihr im Pop erfolgreich waren. Egal ob nun ABBA, Dolly Parton oder Britney Spears – die Inspirationsquellen für ihre Figur sind klar zu erkennen. Und doch schafft die Künstlerin es, herauszustechen. Die Frau ist hot, unfassbar witzig, weiß mit Provokation zu spielen – und sie hat ein gutes Gefühl für die Kern-Zielgruppen des Pops: Girls und Gays.
Zusammen mit Produzent John Antonoff erschafft sie Ohrwürmer mit Augenzwinkern, deren Melodien und Songstrukturen simpel klingen, auf den zweiten Blick aber doch komplexer sind. Dazu kommen ihre Outfits, ihre Texte, ihre Musikvideos, ihr Marketing. Alles wirkt wie eine clevere und perfekt inszenierte Retro-Slapstick-TV-Show. Regelmäßig gibt es neue Folgen oder jetzt – mit ihrem neuen Album „Man’s Best Friend“ – eine neue Staffel. Die Melodien variieren von Folge zu Folge, die Punchline bleibt immer die gleiche: Männer. Sie nerven, sie sind nicht die Hellsten, sie sind leicht zu haben – aber man kommt auch nicht von ihnen los.
Naives Blondchen, das am Ende aber doch die Clevere ist
Sabrina Carpenter kommt aus der Disney-Maschinerie. Sie ist seit über zehn Jahren im Show-Business unterwegs und weiß dementsprechend, was sie tut. Bewusst spielt die Künstlerin mit dem Image des „kleinen naiven Blondchens“, das immer wieder in irgendwelchen Liebes-Zwickmühlen landet, am Ende aber doch die Clevere ist, die die Zügel in der Hand hält. In fast jedem ihrer Musikvideos bringt sie einen Mann zur Strecke, singt „I beg you, don’t embarrass me, motherfucker, please, please, please“ und stürzt sich doch immer wieder in das nächste Beziehungsabenteuer.
„Genehmigt von Gott“
Dazu geht es bei Sabrina Carpenter viel um Sex. Auf der Tour zum Hit-Album „Short’n’Sweet“ („Espresso“) zum Beispiel, führte sie jeden Abend neue Arten von Sex-Stellungen vor, ihre Texte haben sehr oft einen schlüpfrig-doppelten Boden, genau wie die „Tränen“ im erwähnten Song.
Dafür erntet die Künstlerin nicht nur Zuspruch. Neben Männerhass wird Sabrina Carpenter immer wieder vorgeworfen, mit ihrem Look perfekt in die Ausbeutung des weiblichen Körpers, in den Sexismus der Musikindustrie einzuzahlen. Erst kürzlich hat das Albumcover zu „Man’s Best Friend“ eine riesige Kontroverse ausgelöst: Sabrina Carpenter, auf dem Boden kniend, in Schritthöhe einer gesichtslosen männlichen Figur, die der Künstlerin an den Haaren zieht. Über 80.000 Kommentare hat das Bild auf Instagram – Tausende werfen Sabrina Carpenter darunter vor, damit sexuelle Gewalt oder schwindende Frauenrechte zu verharmlosen.
Die Künstlerin aber nimmt es mit Humor, sie schleudert der wütenden Menge kurz danach ein alternatives, „keusches“ Cover entgegen und schreibt dazu: „Hier ist ein alternatives Cover, genehmigt von Gott“. Und eigentlich wird spätestens hier klar, wie ernst die Künstlerin es eben nicht meint mit dem ganzen Tamtam um ihre Persona. Das Albumcover, ihre zwei Vorgänger-Alben – alles zusammen eine große Metapher über die kognitive Dissonanz des Lebens als heterosexuelle Frau. Eigentlich hat sie die Schnauze voll von der Liebe und von den Männern. Trotzdem spielt sie das Spiel weiter, denn ohne ist es ja auch irgendwie blöd.