Mit der Geburt war im Mittelalter die Karriere eigentlich schon vorbei, denn wer als Bauernsohn auf die Welt kam, musste selbstverständlich Bauer werden. Damals konnte er noch nicht mal zu den Soldaten gehen, denn kämpfen war den Rittern vorbehalten. In der Standesgesellschaft gab es weder Aufstieg, noch Abstieg, lediglich Demut vor dem Schicksal. Wer dagegen rebellierte, versündigte sich aus Sicht der Zeitgenossen an der göttlichen Ordnung.
Kein Wunder also, dass Meier Helmbrecht im gleichnamigen mittelalterlichen Versepos ganz schlecht endet, nämlich am Galgen, nachdem er zuvor geblendet und verstümmelt wurde. Ein Bauernsohn, der ein Edelmann werden will, das war undenkbar und musste bestraft werden: Hochmut kommt vor dem Fall. Insofern ist das Epos von Wernher dem Gärtner, mutmaßlich ein Mönch aus Ranshofen oder ein fahrender Sänger, mit seiner ständischen Moral aus heutiger Sicht schwer erträglich.
Kein Wunder, dass die Stadt Burghausen, die in diesem Jahr ihren 1.000. Geburtstag feiert, die Textvorlage aus dem 13. Jahrhundert von Christian Lex gründlich überarbeiten ließ. Viel ist nicht übrig geblieben vom Original. Tatsächlich wurde aus dem „größenwahnsinnigen“ Bauern und Wegelagerer, der sich unangemessen teure Kleidung zulegt, eine Art Robin Hood, der der Rache des Herzogs entkommt und sich in der großen, weiten Welt seiner Selbstverwirklichung widmen darf.
„Wo bin ich in der Gesellschaft gefangen?“
„Wir haben uns natürlich die Frage gestellt, was so ein altes Stück bringt. Was ist jetzt eigentlich die Botschaft?“, erzählt Bürgermeister Florian Schneider im BR-Interview. „Wo gehöre ich hin? Was ist mir vorgegeben, wo bin ich in der Gesellschaft gefangen?“ Die Botschaft sei eine aktuell durchaus spannende Frage.
Eine halbe Million Euro hat sich die Stadt Burghausen die Helmbrecht-Spiele kosten lassen, alle 14.000 Karten wurden verkauft. Der Beifall war nach der Premiere groß, denn Regisseur Moritz Katzmair und sein Team setzten ganz auf Schauwerte und Spektakel. Die mit rund einem Kilometer längste Burganlage der Welt wurde flächendeckend effektbeleuchtet, es fehlte nicht an Pyrotechnik und Nebelschwaden.
„Schau ruhig über den Tellerrand“
Komponist Florian Burgmayr untermalte die Handlung mit mal beschwingten, mal satirischen Chor- und Orchestereinlagen. Als Ritter-, Tod- und Teufel-Show zweifellos gelungen, auch wenn durch die Größe der Spielfläche so mancher Dialog arg zerdehnt und der historische Inhalt von „Meier Helmbrecht“ ins genaue Gegenteil verkehrt wurde. Etwas gekürzt hätte der XXL-Abend gewonnen: So dauerte er bis Mitternacht.
Angesichts der Massen- und Reiterszenen war Moritz Katzmair mindestens so sehr Dompteur wie Regisseur: „Unsere neue Botschaft ist: Wer darf ich sein, wo gehöre ich hin und was passiert, wenn ich über den Tellerrand hinausschaue? Und wer will ich sein?“ Das sei ganz klar ein neuer Blickwinkel und der Hinweis, ohne moralischen Zeigefinger: „Schau ruhig über den Tellerrand, da passiert dir schon nichts.“
Welt des Mittelalteres war statisch und übersichtlich
Rund 600 Burghauser machten mit bei dieser millionenteuren Jubiläumsproduktion. Nicht die Premiere war das eigentliche Ziel, sondern Gemeinschaft zu stiften, die Mitwirkenden zu motivieren, den so fernen Mythos lebendig zu halten, schließlich sind die Schauplätze des „Meier Helmbrecht“ rund um Burghausen historisch verbürgt.
„Profis sind in der Umsetzung erst mal schneller, aber diese Energie, diese Begeisterung, die kann ein Profi gar nicht jedes Mal wieder aufbringen, denn er macht ja ein Stück nach dem anderen“, sagt Moritz Katzmair. „Das ist hier natürlich einmalig.“ Es habe, wie alles, seine Vor- und Nachteile. „Ohne zu übertreiben: Ich bin nicht nur zufrieden, sondern ich bin unfassbar dankbar, was hier passiert ist, mit wie viel Liebe und Leidenschaft die Menschen hier was geschaffen haben, was einmalig ist.“
„Meier Helmbrecht“ als Selbsterfahrungstrip, auch das geht in Ordnung, selbst wenn das vor 750 Jahren keiner verstanden hätte, schon gar nicht am herzoglichen Hof von Heinrich XIII. (1235 – 1290) auf der Burghauser Burg. Damals war die Welt statisch und übersichtlich, wonach sich ja heute manche zurücksehnen. Allerdings müssten sie dann auch auf jegliche „Perspektivgespräche“ verzichten – und Beförderungen.