Symphonien als Urlaubssouvenir
Wo sich große Komponisten inspirieren ließen
Wo sich große Komponisten inspirieren ließen
Von wegen ausspannen und einfach die Bergluft genießen: Gustav Mahler brachte von seinen Aufenthalten in Südtirol ganze Symphonien mit nach Hause. Auch viele andere Komponisten schätzten die unberührte Natur als Inspirationsquelle – von Brahms bis Tschaikowsky.
Bildquelle: imago/Südtirolfoto
Italien – ein Land, in dem sogar das Hässliche schön ist
Sibelius: 2. Sinfonie ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Susanna Mälkki
Jean Sibelius: Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43
Sibelius‘ Musik ist der Wiederklang des „Landes der tausend Seen“ Finnland. Die ersten Skizzen zur 2. Symphonie entstanden jedoch während eines Italien-Aufenthalts. In Rapallo, einem Badeort südöstlich von Genua, mietete er sich im Februar 1901 mit seiner Familie in einem Gasthaus ein. Außerdem bezog er ein Arbeitszimmer in einer nahe gelegenen Bergvilla. Dort begann der 1865 geborene Komponist am langsamen Satz seiner Symphonie zu arbeiten. Zwei Monate später zog es ihn noch einmal nach Florenz, bevor er den Sommer und Herbst in Finnland verbrachte. Anfang März 1902 dirigierte Sibelius die Uraufführung in Helsinki. Es sollte sein bisher größter Erfolg werden und seinen Ruf als Nationalhelden besiegeln. Sibelius widmete die Sinfonie Baron Axel Carpelan, einem Förderer des Komponisten. Dieser hatte ihm 1900 in einem Brief geraten, in Italien neue Inspirationen zu finden, einem Land, „in dem man die Cantabilität erlernt, Proportionen und die Harmonie, Plastizität und die Symmetrie der Linien. Es ist ein Land, in dem sogar das Hässliche schön ist.“
In allerliebster Lage

Brahms: Sinfonie Nr. 2 mit Christoph von Dohnányi (2007) | NDR Elbphilharmonie Orchester
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Zeitlebens hatte Johannes Brahms eine Vorliebe für landschaftlich schön gelegene Sommerdomizile. So hatte er die Sommermonate der Jahre 1865 bis 1874 in der Abgeschiedenheit und schlichten Gemütlichkeit seines Wohnsitzes auf einem Hügel der badischen Idylle von Lichtental verbracht. Auch im Sommer 1877 zog es Brahms aufs Land. Da er bereits seit Ende 1871 in Wien wohnte, war auch der Weg nach Pörtschach am Wörthersee nicht weit. Pörtschach läge „allerliebst“, schrieb er an seine Bekannte Bertha Faber-Porubsky: „Die Fahrt hierher ist reizend und der Aussichtswagen etwas ganz Ideales!“ Inmitten der schönen Seenlandschaft und dem nahe gelegenen Gebirge der Karawanken schrieb Brahms an seiner Symphonie Nr. 2 und vollendete sie innerhalb eines Jahres. Zum Vergleich: An seiner Symphonie Nr. 1 hatte er über 14 Jahre gearbeitet. Die neue Ungezwungenheit wird auch Brahms‘ Musik deutlich, Volkston und Idylle dominieren. Mit Bezug zu ihrem Entstehungsort nannte man die neue Symphonie auch nicht ganz zu Unrecht „Wörthersee-Symphonie“. Noch aus Pörtschach am Wörthersee schrieb Brahms im Sommer an Eduard Hanslick, er werde im Winter „eine Symphonie vorspielen“, die „heiter und lieblich“ klinge.
Die Dolomiten reparieren Leib und Seele

Mahler – Symphony No 9 in D minor – Barenboim
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9 D-Dur
Gustav Mahler und seine Frau Alma bei einem Sommerspaziergang nahe Toblach. | Bildquelle: picture-alliance / Imagno
Am Neujahrstag 1908 gab Gustav Mahler sein erstes Konzert als Dirigent der Metropolitan Opera in New York. Doch in der spielfreien Sommerzeit zog es ihn zurück nach Europa. So verbrachte er die warmen Monate in seinem kleinen, hölzernen Komponierhäuschen in Toblach, einer Gemeinde im Südtiroler Pustertal. Eine schlichte Hütte aus Brettern – und ein Ort, an dem Mahler Weltmusik schrieb. Aufnahmen zeigen Mahler und seine Frau Alma beim scheinbar ungetrübten Wandern durch das Pustertal: Sie mit wagenradgroßem Hut und weißem Mantel, Mahler mit Stock über der Schulter und einem daran hängenden Jackett. Im Sommer 1909 entstand hier, am Tor zu den Dolomiten, die Symphonie Nr. 9. „Hier ist es wunderherrlich und repariert ganz sicher Leib und Seele“, schrieb Mahler noch aus Toblach. Den eilig skizzierten Partiturentwurf nahm er dann zur Überarbeitung mit in die nächste New Yorker Saison. In Toblach komponierte er nicht nur die Symphonie Nr. 9, sondern auch „Das Lied von der Erde“ und die unvollendete Symphonie Nr. 10.
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Musikalische Ideen fließen, wie die Kuh Milch gibt

„Eine Alpensinfonie“
Richard Strauss: Eine Alpensinfonie op. 64
„Neulich machten wir eine große Bergpartie auf den Heimgarten. (…) Nachts 2 Uhr fuhren wir auf einem Leiterwagen nach dem Dorfe, welches am Fuße des Berges liegt. Sodan stiegen wir bei Laternenschein in stockfinsterer Nacht auf und kamen nach 5-stündigem Marsche am Gipfel an. Dort hat man eine herrliche Aussicht. (…) Sodan fuhren wir über den See nach Uhrfelden. (…) Schon auf dem Weg daher hatte uns ein furchtbarer Sturm überfallen, der Bäume entwurzelte und uns Steine ins Gesicht warf. (…)“, so schreibt der 15-jährige Richard Strauss an seinen Jugendfreund Ludwig Thuille. Strauss wollte das Erlebte niederschreiben. 35 Jahre nach jener „Bergpartie auf den Heimgarten“ plante er eine viersätzige Symphonie nach Friedrich Nietzsches polemischer Schrift Der Antichrist. Während der Arbeit stellte Strauss fest, dass die musikalischen Ideen nur so aus ihm herausflossen „wie die Kuh Milch gibt“. Das Ergebnis: ein alpines Naturgemälde mit „blumigen Wiesen“, einem „Gletscher“ und „rauschendem Wasserfall“. Die Alpensinfonie, am 28. Oktober 1915 in Berlin uraufgeführt.
In Vysoká lebe ich wieder auf

Dvorák – Symphony No 8 in G major, Op 88 – Krivine
Antonín Dvořák: Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88
Dvořáks achte Symphonie entstand im Herbst 1889, inspiriert vom „Schlösschen“ in Vysoká, dem Landsitz des Komponisten. Dort, im böhmischen Land südwestlich von Prag, widmete sich Dvořák neben dem Komponieren vor allem dem Obstanbau, Gärtnern und der Taubenzucht. Später, als er aus Vysoká für seine Arbeit als künstlerischer Direktor und Professor für Komposition am National Conservatory of Music regelmäßig nach New York reiste, fiel ihm der Aufbruch nicht leicht. „Das beste wäre, in Vysoká zu sein – dort lebe ich wieder auf, ruhe aus – und bin glücklich. Wäre ich doch wieder dort!“
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Mendelssohn: 4. Sinfonie (»Italienische«) ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Paavo Järvi
Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90 “Italienische”
„Das Land der Künstler ist nun einmal Deutschland“, schrieb Mendelssohn von seiner Italienreise, Italien aber sei „das Land der Kunst“. 1830 betrat Mendelssohn erstmals italienischen Boden. Euphorisch von der neuen, heiteren Umgebung und der schönen Natur handeln schon kurze Zeit nach der Ankunft seine Briefe von Werken oder Werkplänen. Schon für seine Sinfonie Nr. 3, die „Schottische“, und seiner Ouvertüre „Die Hebriden“ inspirierte ihn das Reisen – damals nach Schottland. Auf dem Weg Richtung Italien machte Mendelssohn Halt in Weimar, wo der bildungshungrige 22-Jährige zum zweiten Mal auf Johann Wolfgang von Goethe traf. Sicherlich versuchte Mendelssohn im Süden auch auf den Spuren von Johann Wolfgang von Goethes „Italienischer Reise“ zu wandeln. Seine zweijährige Reise führt ihn nach Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Pompeji und Mailand. Es gibt keine Schriftzeugnisse, die eine Arbeit an der Sinfonie Nr. 4 in Italien belegen. Die sublime Verarbeitung der Eindrücke seiner „unglaublichen Reise“ in den Süden sind jedoch unüberhörbar, kaum ein Orchesterwerk des 19. Jahrhunderts durchdringt eine solche Helligkeit und Leichtigkeit.
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Schubert: Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 „Die Grosse“
Die Symphonie Nr. 8 nimmt eine besondere Stellung im Werk Schuberts ein. Einerseits war sie mit einer Spieldauer von etwa einer Stunde die längste rein instrumentale Symphonie des 19. Jahrhunderts – bis zu Bruckners Symphonie Nr. 5. Andererseits waren die Entstehungsumstände lange unklar. So suchte man nach einer „verschollenen“ Sinfonie, an der Schubert im Jahr 1825 in Gmunden und Bad Gastein gearbeitet haben soll. Seit 1978 steht allerdings fest: Bei der Symphonie Nr. 8 C-Dur handelt es sich um genau diese, entstanden in der Sommerfrische Österreichs. Im Mai 1825 trat Schubert die längste seiner Reisen an. Zunächst besuchte er Freunde in Steyr und in Linz, dann fuhr er weiter nach Gmunden am Traunsee, wo er den Juni und Juli verbrachte. Sowohl hier als auch bei seinem Aufenthalt im August in Gastein arbeitete Schubert an der in Wien begonnenen C-Dur-Symphonie. Zu Lebzeiten kam Schubert nur selten aus Wien hinaus. Mit seiner „Großen“ wollte er sich jedoch einen ganz eigenen – von Beethoven unabhängigen – kompositorischen Weg im Bereich der Symphonie bahnen.
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Peter I. Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 “Pathétique”
1885 schrieb Tschaikowsky an einen Freund: „In diesen Tagen träume ich davon, mich in einem nicht weit von Moskau entfernten Dorf niederzulassen, wo ich mich zu Hause fühlen kann.“ Zunächst einmal mietete er ein Haus in Maidanovo, wo er sich jedoch von den Sommertouristen gestört fühlte, die ihn besuchen wollten. Das für ihn perfekte Haus fand er schließlich in der Kleinstadt Klin, nordwestlich von Moskau am Ufer der Sestra gelegen. Hier lebte er ruhig und friedlich in einem grauen Holzhaus mit grünem Dach. Im Schlafzimmer, auf einem unscheinbaren, einfachen Holztisch mit Blick auf den Garten, schrieb Tschaikowsky 1893 sein letztes großes Werk, die Symphonie Nr. 6 „die den Schlussstein meines ganzen Schaffens bilden soll“. Noch im selben Jahr dirigierte Tschaikowsky die Uraufführung seines Werkes in Sankt Petersburg mit mäßigem Erfolg. Neun Tage später starb der Komponist ganz plötzlich. Eduard Nápravník führte die Symphonie erneut auf. Nach Rimski-Korsakows Aussage nahm „das Publikum das Werk dieses Mal mit Begeisterung auf“, und es „begann der unerhörte Siegeslauf des Werkes durch Russland und ganz Europa“.