Basti ist Multimillionär – und arbeitet als Gärtner auf einem Friedhof am Stadtrand von Dortmund. Weder seine Kollegen noch sein Chef wissen, dass er am Tag so viel verdient wie sie in einem Jahr. Warum er den Friedhofs-Job macht? Weil er Pflanzen liebt, sagt er. Wie er so reich geworden ist? Durch Krypto-Investments. „Mühselig sich zu fragen, ob Basti ein prototypischer Krypto-Millionär ist. Er hat keinen Developer-Hintergrund, keinen MBA, er hat nie in Frankfurt gearbeitet“, heißt es in „Tausend Mal so viel Geld wie jetzt“ von Juan S. Guse.
Eine große soziologische Analyse will dieses Buch also nicht sein. Und auch keine „Plötzlich-Prinzessin“-Geschichte – viel zu kitschig! – sagt Autor und Soziologe Juan S. Guse, der sich mit seinem neuen Buch zwischen Roman, Reportage und Sachbuch bewegt: „Ich habe mich letzten Endes nur für Figuren entschieden, die eine Sache gemeinsam haben, nämlich, die leben diesen Klassensprung nicht aus, wie man ihn in einem Plötzlich-Prinzessinnen-Narrativ erwarten würde, mit: Die kaufen sich erstmal eine Villa, einen Ferrari oder stellen sich eine Löwen-Statue vors Haus.“
Die Inszenierung als wirtschaftlicher Mittelstand
Sondern sie arbeiten wie Basti als Friedhofsgärtner, finden wie Arne ihr Glück im Klettern, oder fahren wie Malte weiter ihren alten Saab Kombi. Kurz: Sie inszenieren sich wirtschaftlich als Mittelstand, wo das alte Mittelstandversprechen in Deutschland für Menschen U40 kaum mehr zutrifft, sagt Guse: „Fleißig arbeiten, mit Lohn und Brot kommt man dann zu Haus und Vermögensbildung. Das gilt für einen Großteil der Population immer weniger und für viele gar nicht.“
Diese Geldanlagen heißen „Link“, „Quant“ oder „OHM“ und sind noch viel volatiler als der Bitcoin. Ideologisch stehen die Krypto-Gewinner, die Juan S. Guse im Buch zwischen dokumentarischem Zitat, subjektiven Eindrücken und fiktiven Ausschmückungen porträtiert, dagegen mitten im Eklektizismus unserer Zeit: Punk, Jesus, Esoterik, Corona-Leugner, Incel, Aussteiger, libertär – all diese Begriffe fallen in Verbindung mit den vier Protagonisten. Nicht zuletzt Krypto selbst sei eine Ideologie, meint der Schriftsteller und Soziologe: „Im Fall meiner Leute, das sind alles keine Informatiker.“
Im Netz regiert der Turbo-Turbo-Kapitalismus
Man muss glauben in der Krypto-Kirche. Die alte Erzählung von einer besseren, gerechteren Krypto-Finanzwelt habe sich heute erledigt, meint der Autor. Stattdessen regiert auch im Netz längst der Turbo-Turbo-Kapitalismus, propagiert von selbsternannten, toxischen Männlichkeits-Bossen wie dem Influencer Andrew Tate, „die wollen ja überhaupt nichts am System verändern. Das Versprechen ist, wenn du bei uns mitmachst, wir schaffen nicht die Peitsche ab, sondern wir bringen dich auf die Seite der Peitsche.“
Die Peitsche wollen die vier Protagonisten in Juan Guses Buch zwar nicht schwingen. Aber soziales Engagement, gemeinschaftliches Handeln, gar die Spende für den guten Zweck kommen für sie auch nicht infrage.
Pleite-Währungen kaufen nur die anderen
Sie alle schreiben sich den finanziellen Erfolg in neoliberaler Manier selbst zu. Zufall? Ach was – Leistung! Außergewöhnliche Analysefähigkeiten und harte Arbeit haben ihnen die Millionen ins E-Wallet gespült. Sogenannte „Shit-Coins“, Pleite-Währungen, kaufen nur die anderen. Was natürlich Blödsinn ist: Als Juan S. Guse schließlich selbst einer top-geheimen Empfehlung des Millionär-Gärtners Basti folgt, verliert er 2.000 Euro: „Das hat mich wirklich viel mehr verfolgt, als ich gedacht hätte. Und natürlich ist da auch Neid dabei. Oder Angst. FOMO, die fear of missing out, das bewirtschaften die durch diese Erzählung: Es ist noch nicht zu spät!“
Es ist das eigenwillige Milieu, die Erklärungen der vom Glück Getroffenen und die Verheißungen der Glücksversprecher, die dieses Buch lesenswert machen. Nein, die technische Seite von Krypto versteht man danach nicht besser. Aber man versteht, wieso fast sechs Millionen Menschen in Deutschland, die Meisten weiß, männlich, zwischen 25 und 40, Kryptowährungen besitzen.