Justiz, Staat und Initiativen versuchen, den Hass im Internet einzudämmen. Sie verweisen auf Erfolge, stoßen aber an Grenzen. An die Betroffenen und die stillen Mitleser, die „By-Stander“ appellieren sie, nicht tatenlos zuzusehen, sondern zu widersprechen und Anzeige zu erstatten.
„Rückzug aus dem Diskurs ist kein guter Ratschlag“
In 90 Prozent der angezeigten Fälle könnten Täter und Täterinnen ermittelt werden – darauf verweist Staatsanwalt David Beck im Gespräch mit BR24. Beck ist Hate-Speech-Beauftragter der Bayerischen Justiz. Der Ermittlungserfolg liege auch an der guten Qualität der eingehenden Meldungen. Die Täter, die sie ermittelt hatten, seien keine homogene Gruppe, „das geht durch alle Gesellschaftsschichten“.
Im Falle einer Verurteilung könnten die Strafen empfindlich sein; man müsse mit Geldstrafen in Höhe mehrerer Monatsgehälter rechnen. Beck verwies aber auch darauf, dass im Hintergrund oft Personen und Gruppen wirkten, die gezielt Hass säen wollten. „Die Anheizer sind die, die wir verstärkt suchen. Wenn wir die erwischen, reden wir nicht mehr von Geldstrafen.“
Thorsten Schmiege, Präsident der Landeszentrale für neue Medien, spricht das Problem an: Hate Speech funktioniere durch Einschüchterung und Verunsicherung. „Immer mehr ziehen sich aus dem Internet zurück.“ Dabei sei Handeln gefragt. Für Georg Eisenreich ist der Kampf gegen Hass im Netz nicht nur Aufgabe des Staates, sondern der Zivilgesellschaft: „Rückzieher aus dem Diskurs ist kein guter Ratschlag.“
Einschüchterung wirkt: Viele haben Angst vor dem Anzeigen
Viele Bürgerinnen und Bürger haben Angst davor, Anzeige zu erstatten: David Beck verweist auf Studien, wonach 37 Prozent der Bürger und Bürgerinnen Hass im Netz ausgesetzt gewesen sein, aber nur sieben Prozent wendeten sich an die Justiz. Gerade in Bayern gebe es aber die Möglichkeit, Hate Speech anonym zu melden, etwa über die Website von REspect! [externer Link]. David Beck im Gespräch mit BR24: „Ich kann nur dazu raten, Straftaten, denen man im Internet begegnet, auch anzuzeigen. Man darf sie nicht hinnehmen, man darf sie vor allem auch nicht ignorieren. Man muss dagegenreden, man muss Anzeige erstatten.“
„Das gesellschaftliche Klima wird vergiftet“, beklagt Bayern Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Münchner Justizpalast, wo sich Expertinnen und Experten aus Politik, Medienaufsicht, Strafverfolgung und der Initiativen HateAid und REspect! versammelten, um mögliche Gegenstrategien zu diskutieren und Defizite zu beheben. Die Hauptforderung: Die Zivilgesellschaft dürfe sich nicht wegducken, sondern müsse dem Hass im Netz aktiv begegnen.
„Oft bleibt es nicht bei Worten“
Denn, auch da war sich die Runde einig: Der Hass macht nicht an den Grenzen des digitalen Raums halt. „Oft bleibt es nicht bei Worten“, sagte Eisenreich und erinnerte dabei an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor etwas mehr als fünf Jahren. Ein Rechtsextremist hatte den CDU-Politiker auf dessen Terrasse erschossen. Seine Tat begründete der Neonazi später mit Lübckes liberaler Haltung zur Flüchtlingspolitik. Der Mann war nach „Panorama“-Informationen jahrelang bei einer Neonazi-Gruppe aktiv und verbreitete unter Pseudonym schon Jahre zuvor Hasskommentare auf den Internetseiten einer Lokalzeitung.
„Internetplattformen unter Druck setzen“
Josephine Ballon von der Initiative HateAid setzt sich dafür ein, dass die Politik den Druck auf die großen Internetplattformen erhöht: „Wenn wir wollen, dass wirksame Maßnahmen in den sozialen Medien ergriffen werden, um digitaler Gewalt zu begegnen, dann brauchen wir Regulierung und wir brauchen politische Aktivität dafür“, sagt Ballon im BR24-Interview. Denn die Plattformen wollten in erster Linie Geld verdienen. „Das heißt, sie werden niemals freiwillige Maßnahmen ergreifen, die viel Geld kosten, um ihre Plattform sicher zu machen. Wir brauchen Regulierung.“