Digitale Plattformen erst ab 16 Jahren erlaubt: Eine solche Regelung wäre aus Sicht des Religionspsychologen Lars Allolio-Näcke von der Friedrich-Alexander Universität Nürnberg-Erlangen auch in Deutschland sinnvoll. „Der Staat sollte entschieden eingreifen“, sagte Allolio-Näcke. Das Parlament in Australien hatte Ende 2024 beschlossen, soziale Netzwerke für unter 16-Jährige zu verbieten.
Problem: Konsumfokus und Geschlechtsstereotype
In der Entwicklungspsychologie ließen sich bereits Entwicklungsverzögerungen bei Kleinkindern beobachten, die nicht draußen spielten und wenig Möglichkeit bekämen, die eigene Denkfähigkeit zu entwickeln, sondern stattdessen „vor virtuellen Welten“ säßen. In der digital geprägten Welt werde es schwieriger, Menschen zu Mündigkeit und Kritikfähigkeit zu erziehen, beklagte der Privatdozent. „Die Plattformen vermitteln Konformität. Durch TikTok und Co. sind beispielsweise Geschlechterstereotype zurückgekehrt, die wir eigentlich schon einmal überwunden hatten: Wie sieht eine gute Frau aus, was macht einen Mann männlich?“ Auch liege bei Social Media ein zu starker Fokus auf dem Konsum.
Durch Social Media fällt soziale Kontrolle weg
Viele Menschen spürten entsprechende Auswirkungen in ihrem Alltag, sagte Allolio-Näcke. „Heutzutage ist es opportun, eine Verabredung eine halbe Stunde vorher abzusagen.“ Dies passiere, weil durch Social Media die Instanzen der sozialen Kontrolle wegfallen würden, so Allolio-Näcke. „Das waren früher die Kirche, der Staat, aber auch die Familie“, sagt Lars Allolio-Näcke.
In den neuen Medien würden Menschen zudem zu selten zur Rechenschaft gezogen, wenn sie etwa Politikerinnen und Politiker beschimpften. „Man kann jede Kakophonie von sich geben, ohne dass etwas geschieht“, kritisiert der Wissenschaftler. Vielmehr müsse erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern die Folgen ihres Tuns zugerechnet werden: „Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen – das haben wir als Gesellschaft in den vergangenen Jahren ein bisschen schleifen lassen.“
Social Media: Ein weit verbreitetes Suchtmittel
Social Media sei ein weit verbreitetes Suchtmittel, sagt auch die Hamburger Kinderärztin, Psychiaterin und Psychologin Kerstin Paschke im Interview auf Bayern 2. „Wir gehen davon aus, dass mehr als eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland eine problematische Mediennutzung zeigen“, sagt Paschke. „Man geht davon aus, dass die Betroffenen die Kontrolle über die Mediennutzung verlieren. Das heißt, Jugendliche nutzen die Plattformen länger und häufiger, als sie das eigentlich wollten.“
Social Media werde wichtiger als alles andere: als Freunde, als das Fußballtraining, als die Schule. „Die Betroffenen nehmen in Kauf, dass das Verhalten zu negativen Folgen führt und dann kommt es tatsächlich zu bedeutsamen Beeinträchtigungen in der psychischen Gesundheit, in der körperlichen Gesundheit, im Familienleben, im Kontakt mit Gleichaltrigen und der schulischen Leistung“, sagt die Psychiaterin. Aus Studien wisse man, dass Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren rund 3,5 Stunden vor dem Smartphone verbrächten.
Social Media: Lehrer haben schweren Stand
Neben den Eltern hätten aktuell vor allem Lehrerinnen und Lehrer gegen Social Media einen schweren Stand, sagt Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „TikTok und Instagram verkürzen durch die ganz schnelle, kurze Story die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder und Jugendlichen sehr und das hat natürlich Auswirkungen“, sagt Bensinger-Stolze. Wie sich das konkret etwa auf die Lesefähigkeiten von Kindern und Jugendlichen auswirkt, müssten Studien noch zeigen. Solange es keine verbindlichen Einschränkungen bei der Nutzung von TikTok und Co. gibt, liegt es an den Eltern und Lehrern, den Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit Social Media und dem Smartphone zu vermitteln.
In Australien könnte das Social-Media Verbot für unter 16-Jährige in etwa einem Jahr in Kraft treten. Bis dahin müssen die Betreiber von Plattformen wie Facebook oder TikTok wirksame Altersprüfungen einführen. Bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen. Premierminister Anthony Albanese nannte als Ziel, „Kinder und Jugendliche von den Handys wegzubringen“ und sie stattdessen wieder häufiger auf Bolzplätzen, Schwimmbädern und Tennisplätzen zu sehen. Damit soll die Zunahme von Depressionen und Schlafstörungen durch exzessive Social-Media-Nutzung gebremst werden.