In Österreich ist die Durchschnittstemperatur seit 1850 um 3,1 Grad gestiegen, im deutschen Alpenraum um 2,5 Grad. Und nicht erst der Bergsturz in Blatten im Lötschental vor zwei Wochen hat daran erinnert, welche gewaltigen Veränderungen in den Alpen im Gang sind. Aber die steigenden Temperaturen sind nicht der einzige Grund, warum die Alpengletscher noch viel schneller verschwinden als erwartet.
Bis 2050 kaum mehr Gletscher in den Ostalpen
Die Gletscherforscherin Andrea Fischer aus Innsbruck hat in den vergangenen Jahren vor allem die sogenannten Rückkopplungsmechanismen untersucht und Anfang Juni auf einem Alpenklimagipfel auf der Zugspitze vorgestellt. Weniger Schnee im Winter und schnellere Schneeschmelze führen dazu, dass das Eis wie in diesem Jahr schon im Mai offen daliegt. Weil sich durch die Schmelze Schutt ansammelt, wird die Gletscheroberfläche dunkler und nimmt mehr Wärme auf. In den Gletschern bilden sich große Hohlräume, durch die warme Luft und Schmelzwasser strömen, die wiederum den Zerfall beschleunigen –und das in einer Rate, die in den bisherigen Modellen so nicht erkannt wurde, so Fischer.
Die Pasterze: Österreichs größter Gletscher zerfällt
Die Glaziologin hat die Modelle aktualisiert und errechnet, dass nicht erst Ende des Jahrhunderts, sondern schon im Jahr 2050 maximal noch zehn Prozent der Gletscher in den Ostalpen übrig sein werden. In diesem Sommer erwarten sie den endgültigen Zerfall der Pasterze, Österreichs größtem Gletscher unter dem Großglockner. Nach dem schneearmen Winter war Andrea Fischer erst im Mai vor Ort. Nur noch eine schmale Eisverbindung gibt es zwischen dem oberen und unteren Pasterzenboden, die nach den mageren Winterschneefällen im Laufe des Sommers wohl endgültig abreißen wird.
Der größte Gletscher Österreichs wird dann der Gepatschferner im Kaunertal sein. 300 der insgesamt 900 österreichischen Gletscher werden – so die Prognose – bis 2030 weg sein. So nah ist das Ende des Eises in den Alpen bislang nie vor Augen getreten. Und analog zum sichtbaren Gletschereis läuft der Schmelzvorgang des Permafrosts im Inneren der Berge ab – Felsstürze sind die Folge.
Im Alpenvorland: Risiko Wildbach
Weiter draußen, im Alpenvorland, werden die Wildbäche zu einer immer größeren Herausforderung, beobachtet Harald Kunstmann, Klimaforscher aus Augsburg. Und auch von vermeintlich harmlosen Gipfeln wie dem Hörnle bei Bad Kohlgrub droht Gefahr durch Muren. Auf die Kommunen kommen hohe Kosten zu, sie brauchen für die notwendigen Schutzbauten finanzielle Unterstützung von Land und Bund, fordert der Klimaforscher. Insgesamt gelte erhöhte Vorsicht, da durch immer stärkere Niederschläge die Risiken im Alpenraum zunehmen.
Oase Alpen: Immer mehr Touristen suchen die Kühle der Alpen
Die Kehrseite der Entwicklung ist, dass die Alpen als vergleichsweise kühler Ort immer beliebter werden, resümiert Kunstmann das Ergebnis einer aktuellen Studie zum Klimawandel in den Alpen. Der Druck auf den Alpenraum wird durch die Flucht vor der Hitze im Mittelmeerraum also steigen. Vor allem auf Tourismusorganisationen und Alpengemeinden kommen daher neue Herausforderungen zu: Die Alpenregionen müssen die Belastung steuern.
Gibt es Lösungen?
Die Folgen all dieser tiefgreifenden Veränderungen sind derzeit nicht absehbar. Das alte Thema, der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, ist nur ein Baustein. Im Tourismus selbst ist der Ernst der Lage zumindest in den Gesprächen auf diesem Alpenklimagipfel bisher nicht angekommen. Sicher ist, dass der Naturtourismus immer weniger auf Knopfdruck funktioniert, erläutert Glaziologin Andrea Fischer am Beispiel des Skisaisonstarts: Wer einen am Kalendertag ausgerichteten Betriebsbeginn garantiere, der muss auf künstliche Beschneiung zurückgreifen. Insgesamt aber würde es der Gesellschaft nützen, wenn sie flexibler wäre. Skifahren dann, wenn die Schneebedingungen gut sind; bei gefährlichen Wetterlagen nicht auf den Berg oder die Straße gehen. Mehr Zurückhaltung und Voraussicht – das gilt fürs Verhalten auf dem Berg genauso wie unten im Tal.