Im Botanischen Garten in München-Nymphenburg blüht es prachtvoll: Lilien, Iris, Phlox und Margeriten leuchten im sogenannten Prachtgarten. Doch der Biologe Joachim Kadereit geht daran vorbei. Ihn interessiert ein bestimmter Baum, der abseits vom Prachtgarten steht: ein Tulpenbaum. So ähnlich wie seine Blüten könnten die ersten Blüten der Erdgeschichte aufgebaut gewesen sein, sagt Kadereit: Die Blütenblätter sind, anders als bei „moderneren“ Arten, nicht miteinander verwachsen.
Die Evolution der Blütenpflanzen
Irgendwann in der Kreidezeit muss es passiert sein. Damals war es heiß auf der Erde, die Polkappen waren eisfrei. Die Pflanzenwelt bestand vor allem aus Moosen und Farnen, Nadel- und Ginkgobäumen. Doch dann entwickelte sich eine neue Art. Ihre Besonderheit: Blütenblätter, die sich um die Samen der Pflanzen legten und sie so schützten. Diese neu aufgetauchten sogenannten Bedecktsamer hatten offenbar einen evolutionären Vorteil gegenüber den früheren Nacktsamern. Die Blütenpflanzen waren so erfolgreich, dass sie sich in kürzester Zeit – also in „nur“ etwa 40 Millionen Jahren – über die ganze Erde verbreiteten und immer mehr Arten bildeten. Heute gibt es etwa 300.000 verschiedene Arten von Blütenpflanzen – mehr als von irgendeiner anderen Pflanzengruppe.
Proben mit Blütenpflanzen-Pollen stammen aus Portugal
Wie und warum die Blütenpflanzen aufkamen – dieses Rätsel ist bis heute nicht gelöst. Doch immerhin gibt es jetzt neue Forschungsergebnisse (externer Link) zu der Frage, wann das vermutlich geschah. Dafür war ein Team um die Biologin Julia Gravendyck von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und den Geologen Ulrich Heimhofer von der Leibniz Universität Hannover in Portugal unterwegs.
Vor mehr als 100 Millionen Jahren befand sich dort ein flaches Meer. Land ragte dort, wo heute Europa ist, an nur wenigen Stellen aus dem Wasser. Von dort spülten die Flüsse Pflanzen und Pollen ins Meer, wo sie sich ablagerten. Wenn man heute vor der portugiesischen Steilküste steht, liegen diese Sedimentschichten frei – die Erdgeschichte türmt sich quasi direkt vor den Forschern auf und sie können Proben einfach herunterkratzen. Das Team um Gravendyck und Heimhofer sammelte Gesteinsproben aus den Sedimentschichten, von denen sie vermuteten, dass sie Nachweise der frühesten Blütenpflanzen enthalten könnten.
Pollen der Blütenpflanzen sind winzig und 123 Millionen Jahre alt
Wieder zu Hause in Deutschland saß Julia Gravendyck wochenlang am Mikroskop und analysierte die Proben. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch sie wurde fündig. Sie entdeckte vier winzige Pollenkörnchen, 0,02 Millimeter groß. Die Körnchen, sogenannte Trikolpaten, haben drei Furchen wie bei allen Blütenpflanzen mit zwei Keimblättern. Die Schicht, in der sie gefunden wurden, ist 123 Millionen Jahre alt. Für das Forscherteam der Beweis, dass die ersten Blütenpflanzen mindestens zwei Millionen Jahre früher aufgetaucht sind als man bisher dachte. Dank der eingesetzten Technik ist das Forscherteam sicher, dass die Datierung wesentlich genauer ist als bei früheren Studien.
Erste Blüten in Portugal statt in den Tropen?
Und noch mehr hat das Forscherteam herausgefunden: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die Blütenpflanzen zum ersten Mal im heutigen Portugal auftraten. Bisher ging man davon aus, dass sie eher in den Tropen entstanden sind. Aber – so Ulrich Heimhofer – es sei durchaus denkbar, dass vor etwa 120 Millionen Jahren die Temperaturen in den Tropen so hoch waren, dass die Evolution dort vielleicht sogar eingeschränkt war. Warum sich die Blütenpflanzen entwickelten, das kann die Forschergruppe jedoch nicht beantworten.
Die Suche nach dem Übergang hin zu den Blütenpflanzen
Noch immer gibt es bei der Evolution der Blütenpflanzen viele Fragen. Vor allem eine findet auch der Botaniker Professor Joachim Kadereit äußerst spannend: Wie und wann fand der Übergang von Nacktsamern zu Bedecktsamern statt? „Wir müssen hoffen, dass wir irgendwann Fossilien finden, die uns diesen Übergang zwischen den Nacktsamern, also zwischen Nadelbäumen, Ginkgo, Palmfarnen auf der einen Seite, und den Blütenpflanzen auf der anderen Seite, zeigen“, erläutert Kadereit. „Aber überzeugende Fossilien, die ausgestorbenen Verbindungsglieder, die Missing Links sozusagen, hat man noch nicht gefunden.“ Die Suche wird weitergehen.