Zu den angesprochenen Standards gehört zum Beispiel, dass im Schatten gemessen wird, dass jede Messstation belüftet ist und dass die Messung 1,25 bis zwei Meter über einem natürlichen Boden erfolgt. Becker sagt auch: „Wir messen die Temperatur und die Feuchtigkeit an jeder Stelle mit zwei jeweils identischen Sensoren die direkt nebeneinander montiert sind, sodass wir sofort sehen, wenn die Werte voneinander abweichen.“ Regelmäßig werden die Messstationen auf diese Standards hin überprüft, erklärt Becker. „Die Sensoren werden in Laboren in Hamburg-Sasel und Oberschleißheim regelmäßig kalibriert und bei Abweichungen ausgewechselt.“
Die Messdaten werden außerdem auf Unregelmäßigkeiten hin überprüft, so Becker. Verändert sich zum Beispiel die Wärmestrahlung auf eine Messstation, versuche man das zu korrigieren.
Manchmal werden Stationen sogar verlegt – wie etwa in Kassel, Karlsruhe und Freiburg bereits geschehen – wegen des Wärmeinseleffekts. „Das sind drei Orte, an denen es tatsächlich passiert ist, dass die Städte gewachsen sind und quasi die Stationen vertrieben haben“, so Becker.
- Warum auch die Klimadaten der NASA nicht verfälscht sind, lesen Sie hier.
Messstation „München Stadt“ erfülle Standards
Doch auch Messstationen in Städten können den Standards entsprechen – ihre Daten fließen dann in die Berechnung der Durchschnittstemperatur in Deutschland ein. So zum Beispiel die Messstation „München Stadt“ neben der DWD-Niederlassung. „Das ist in der Nähe vom Olympiapark. Da ist nicht mehr die allerhöchste Verstädterung, aber es ist da natürlich dicht besiedelt. Die Station steht aber eben auch auf einer Grünfläche“, sagt Becker.
Obwohl die Station nach wie vor die WMO-Standards erfülle, werde derzeit überprüft, ob sie aus der Berechnung herausgenommen werde: „Auch um diesen Diskussionen zu begegnen, werden wir schauen, ob wir eine andere Station finden“, sagt Becker.
Der DWD ermittelt auch die Jahresdurchschnittstemperatur in Deutschland. Die Messdaten von etwa 570 Temperatur-Messstationen fließen in ihre Berechnung ein. Aus den Messdaten wird dann mathematisch ein Gitternetz gebaut, erklärt Karsten Haustein von der Universität Leipzig. „So kann man für ganz Deutschland eine Karte bauen, wo man sieht, wie viel wärmer es ganz lokal geworden ist.“ Becker vom DWD sagt: „Erst mit diesem Auswerte-Gitter werden dann die Flächenmittel gebildet. Das ist dann das, was wir tatsächlich als Klimaänderung in Deutschland kommunizieren.“
Haustein: „Wir vertrauen diesen Daten zu 100 Prozent“
Wie bleiben Daten vergleichbar, wenn sich die Zusammensetzung der Messstationen verändert – zum Beispiel, wenn sie wie in Kassel, Karlsruhe und Freiburg verlegt wurden? Becker sagt: „Da muss man schauen, was die charakteristischen Umgebungsbedingungen an den neuen Standorten sind und ob die Daten sich so einpassen.“ Durch die sogenannte Homogenisierung werden die Daten gegebenenfalls aneinander angepasst. Auch hierfür gibt es vorgegebene Standards der WMO.
Haustein sagt: „Diese aufbereiteten Daten nutzen alle, die so wie ich Klimawissenschaft machen. Und wir vertrauen diesen Daten zu 100 Prozent, denn wir wissen ja, dass die Kollegen dort ihr absolut Bestes tun, uns die richtigen Daten zur Verfügung zu stellen.“
Fehler des DWD würden auffallen
Würde ein Fehler in den DWD-Daten auffallen? „Selbstverständlich“, sagt Haustein, „wenn die Daten in bestimmten Regionen Seltsamkeiten aufweisen, würde man im Vergleich zu den Daten von anderen Stationen Unterschiede sehen“.
Ein Beispiel für einen solchen Fall habe es im Juli 2022 gegeben, als in Lingen im Emsland eine Temperatur von 42,6 Grad gemessen wurde – was einen neuen historischen Temperaturrekord für Deutschland dargestellt hätte. „Alle Umlandstationen waren eher so im Bereich von 40, 41 Grad“, so Haustein. Also habe man sich die Station näher angeschaut und festgestellt, dass Büsche zu nah an sie herangewachsen waren. „Das war ein Windproblem. Die Ventilation dieser Station war nicht mehr gegeben.“ Der Temperaturrekord musste anschließend zurückgenommen werden. Haustein sagt: „Es waren Expert:innen, die gesagt haben: ‚Komisch, das kann nicht sein.‘ Wir sind immer die eigenen größten Kritiker.“
Eine weitere externe Kontrolle ist der Vergleich mit Temperaturdaten anderer Wetterdienste, wie Andreas Becker vom DWD erklärt. Würde Deutschland Wärmeinseleffekte nicht beachten, würden die Mitteltemperaturen hierzulande stark von denen in Nachbarländern abweichen. Das würde auffallen, sagt Becker.
US-Studie widerlegt Klimawandel nicht
Dessen ungeachtet behaupten Nutzer auf X und Telegram fälschlicherweise, dass der städtische Wärmeinseleffekt die Temperatur-Messdaten verzerre – und versuchen damit den menschengemachten Klimawandel zu leugnen. So schreibt der AfD-nahe „Deutschlandkurier“ in einem Post auf Telegram: „Klimaschwindel: US-Studie bestätigt verzerrte Messungen durch Wärmeinsel-Effekt.“
Doch besagte Studie, die im „Journal of Applied Meteorology and Climatology“ erschienen ist, widerlegt die menschengemachte Klimaerwärmung keineswegs. Für Deutschland hat sie schon allein deshalb keine Aussagekraft, weil sie lediglich US-Städte untersucht. Sie weist grundlegende Schwächen auf und ihre Autoren sind als Klimafaktenleugner bekannt, wie sowohl Andreas Becker vom DWD als auch Karsten Haustein von der Universität Leipzig dem #Faktenfuchs sagen.
Die Autoren stellen in der Studie einen Zusammenhang zwischen der steigenden Bevölkerungsdichte an ausgewählten Messstationen in den USA und den steigenden Temperaturen, die diese Messstationen gemessen haben, her. Haustein sagt: „Das ist so ein klassischer Fall, wo man nach irgendeiner Korrelation gesucht und die dann auch gefunden hat.“
Verändern sich zwei Messgrößen gleichzeitig in einem ähnlichen Maße, spricht man von einer Korrelation. Haben die beiden Veränderungen auch ursächlich etwas miteinander zu tun – verändert sich also die eine Messgröße, weil sich die andere verändert – spricht man von einer Kausalität. Nicht jede Korrelation ist eine Kausalität.
Autor und Herausgeber widersprechen der Kritik
Roy Spencer, einer der drei Autoren der Studie, schreibt dem #Faktenfuchs auf Anfrage: „Die Korrelation ist definitiv nicht zufällig. Zwar sind die Korrelationen tatsächlich schwach, aber die quantitativen Regressionskoeffizienten sind durchweg positiv und führen zu einer wiederholbaren nichtlinearen Beziehung zwischen Erwärmung und Bevölkerungsdichte.“
Das „Journal of Applied Meteorology and Climatology“ wird von der „American Meteorological Society“ (AMS) herausgegeben. Auf #Faktenfuchs-Anfrage widerspricht auch der Publikationsbeauftragte der AMS, Walter A. Robinson, der Kritik an der Veröffentlichung. Die Publikation sei von drei Experten begutachtet worden, die keine erkennbare Voreingenommenheit in Bezug auf das Thema menschengemachter Klimawandel hätten. Sie hätten die Annahme des Artikels nach zwei Überarbeitungsrunden empfohlen und würden der Einschätzung, die Ergebnisse seien zweifelhaft, nicht zustimmen.
Robinson schreibt weiter, die Arbeit sei ausschließlich anhand ihrer eigenen Schwächen oder Stärken bewertet worden – nicht auf der Grundlage der Vorgeschichte oder des Rufs des Autors, und: „Wir stehen uneingeschränkt hinter der Strenge und Integrität des Peer-Review-Verfahrens, das zur Veröffentlichung dieses Artikels im Journal of Applied Meteorology and Climatology (JAMC) geführt hat.“
Doch auch Becker vom DWD sagt, ähnlich wie Klimaforscher Haustein, der US-Studie zum städtischen Wärmeinseleffekt liege eine Scheinkorrelation zugrunde: „Sie können über Korrelationen immer Aussagen generieren, aber es muss eine physikalisch substanzielle Hypothese dahinter stehen.“
Per Mail ergänzt er: „In der Sache ist die Hypothese einer Korrelation aus Bevölkerungsdichte und Wärmeinsel-Effekt nicht haltbar, weil hier der Versiegelungsgrad mit der Bevölkerungsdichte gleichgesetzt wird.“ Diesen Zusammenhang gebe es aber nicht.
„Die Studie hätte so nicht durch den Peer-Review gehen dürfen“
Zeke Hausfather, ein US-amerikanischer Klimawissenschaftler, der auch den städtischen Wärmeinseleffekt erforscht hat, schreibt dem #Faktenfuchs: „Während es eine Verzerrung aufgrund der Urbanisierung gibt, reduzieren unsere Methoden diese effektiv, und angesichts der Zusammensetzung der Erde – über 70 Prozent Ozean – bleibt der Einfluss einer eventuell verbleibenden, nicht korrigierten Verzerrung auf die globale Temperatur begrenzt.“
Die Fachzeitschrift, in der die Studie von Spencer und seinen Kollegen erschien, bezeichnet Hausfather als „ziemlich vertrauenswürdiges Journal“. Er fügt allerdings an, dass auch einige Studien von geringerer Qualität durch das Peer-Review rutschen.
Becker schreibt: „Unsereins ist immer etwas irritiert, wie sowas den Peer-Review-Prozess überleben konnte.“ Auch Haustein sagt: „Die Studie hätte so nicht durch das Peer-Review gehen dürfen.“
Hat eine wissenschaftliche Arbeit ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen, ist das in der Regel ein Siegel für die wissenschaftliche Qualität der Studie. Dafür wird die Studie vor der Veröffentlichung von unabhängigen Wissenschaftlern des entsprechenden Fachgebiets geprüft. Tauchen in einem Peer-Review-Prozess Schwächen in der Studie auf, muss sie gegebenenfalls nochmals überarbeitet werden. Sind die Schwächen so gravierend, dass wissenschaftliche Qualitätsmaßstäbe nicht mehr gegeben sind, sollte die Studie nicht veröffentlicht werden.
US-amerikanische Autoren sind bekannte Klimawandelskeptiker
Die Autoren der Studie John R. Christy, Roy Spencer und William D. Braswell arbeiten an der University of Alabama in Huntsville, sind in den USA jedoch als Klimawandelskeptiker bekannt. Spencer arbeitet etwa als politischer Berater für das Heartland Institute.
Der libertäre Thinktank verbreitet – finanziert teilweise von der US-Öl-Industrie – Klima-Desinformation und hat das Ziel, Klimaschutzmaßnahmen zu untergraben, wie eine Recherche von „Correctiv“ zeigt. Dabei unterstützt das Heartland Institute auch Klimafaktenleugner in Deutschland.
Auch die Arbeit von Christy wird vom Heartland Institute zitiert. Spencer und Braswell zweifelten bereits 2011 die Temperatursteigerungen in einer Publikation an. Die Veröffentlichung der beiden wurde von Fachleuten scharf kritisiert, der Chefredakteur des Journals trat nach Ungereimtheiten im Peer-Review-Prozess damals zurück.
Auch Andreas Becker vom DWD sind die Autoren in diesem Zusammenhang schon negativ aufgefallen. Klimaforscher Haustein sagt: „Letztlich ist deren Wissenschaft, obwohl sie immer das Gegenteil behaupten würden, von ihrer eigenen Ideologie extrem beeinflusst.“
US-Klimawissenschaftler Hausfather schreibt: „Auch wenn sie anerkannte Wissenschaftler sind, haben sie doch einen Widerspruchsgeist und versuchen häufig, die Schwere des Klimawandels herunterzuspielen.“ Wie nun Anfang Juli durch Recherchen der New York Times und von CNN bekannt wurde, sind Christy und Spencer als Mitarbeiter des Energieministeriums der US-Regierung gelistet. Das gehe aus internen E-Mails hervor. Die Trump-Administration hatte zuvor hunderte andere Wissenschaftler und Experten entlassen, die bis dahin das „National Climate Assessment“ verfasst hatten – den wichtigsten Bericht über die Auswirkungen des Klimawandels auf die USA.
Beispielhaft für Desinformationsstrategien: Wissenschaftsmimikry, Pseudo-Experten, Rosinenpicken
Der Diskurs um den Wärmeinseleffekt zeige typische Strategien von Klima-Desinformation, wie etwa die Nachahmung von Wissenschaft, das Zitieren von Pseudo-Experten und das Spinnen von Verschwörungsmythen, erklärt Toralf Staud, Klimajournalist und Mitbegründer von Klimafakten.de im Interview mit dem #Faktenfuchs.
- Mehr zu den Methoden der Klimawandelleugner lesen Sie hier.
So gebe es keine logische Erklärung, warum der DWD Daten falsch auswerten solle, aber: „Wenn man an Verschwörungen glaubt, sieht man sie überall, und es ist die viel einfachere Ausrede und Ausweichstrategie, eine Verschwörung zu unterstellen, als anzuerkennen: Ja, da gibt es ein Problem.“
Zwei Autoren der Studie, Spencer und Christie, seien auch ihm bekannt. „Die sind mir schon öfter untergekommen mit zweifelhaften, eindeutig interessengeleiteten, tendenziösen Studien.“ Pseudo-Experten wie sie würden wissenschaftliche Methoden oft nur nachahmen, erklärt Staud: „Wenn man bewusst Daten auswählt, zum Beispiel nur aus bestimmten Jahreszeiten oder aus bestimmten Zeiträumen, kann man praktisch jede These mit Daten belegen.“ Für Laien seien künstlich erzeugte Korrelationen und Grafiken erst einmal überzeugend und nicht von richtiger Wissenschaft zu unterscheiden.
Klima-Desinformation erfüllt Bedürfnis nach Entlastung
Geteilt würden Falschinformationen jedoch oft aus anderen Gründen, so Staud: „Bei der Klimakrise ist es ganz klar: Es gibt ein großes psychologisches Bedürfnis nach Entlastung. Das ist ein Menschheitsproblem, was tiefgreifende Veränderungen im Lebensstil, in der Wirtschaftsweise bedeuten würde.“ Probleme wegzuschieben, auszublenden oder schlicht zu leugnen sei eine nachvollziehbare Reaktion, die ein psychologisches Ruhebedürfnis bediene.
Fazit
Laut Daten des DWD hat sich Deutschland aufgrund des menschengemachten Klimawandels seit 1881 bereits um 2,5 Grad erwärmt. Der städtische Wärmeinseleffekt ist Wissenschaftlern und Wetterdiensten bekannt. Er wird sowohl bei der Konzeption von Messstationen berücksichtigt als auch bei der Analyse der Daten und hat weder einen Einfluss auf die deutsche Jahresdurchschnittstemperatur noch auf den langfristigen Erwärmungstrend.
Entsprechende Falschbehauptungen werden schon seit Jahren verbreitet. Die Methoden der Klima-Desinformation zeigen sich etwa in der Nachahmung von Wissenschaft, dem Zitieren von Pseudo-Experten und dem Verbreiten von Verschwörungsmythen.