Forscher bezeichnen es als Meilenstein der Gentechnologie: Erstmals ist eine Tierlinie wiederbelebt worden, deren lebendiger Genpool vor langer Zeit verschwunden war. Die Wissenschaftler orientierten sich am sogenannten Schattenwolf – bekannt aus der Serie „Game of Thrones“ – real biologisch verwandt mit dem ausgestorbenen Dire Wolf.
Drei rekonstruierte Welpen kamen vor etwa sechs Monaten auf die Welt, sie zieren das aktuelle Cover des Time Magazines (externer Link). Die schneeweißen Wölfe jagen, balgen und schmusen, wie ein Reporter des Magazins berichtet, der die Tiere an einem geheimen Ort treffen durfte.
So funktioniert die „De-Extinction“-Technologie
Die Technik nennt sich „De-Extinction“ und ist eine Kombination aus alter DNA, Klonen und Gen-Editing. Die DNA wurde aus einem 13.000 Jahre alten Zahn und einem 72.000 Jahre alten Schädel extrahiert. Diese Fragmente haben die Forscher sequenziert und mit modernen Techniken bearbeitet. So konnte das Team die genetischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Dire Wolf und seinem nächsten lebenden Verwandten, dem Grauwolf, rekonstruieren.
Dann entnahmen die Forscher den Zellkern eines Grauwolfs und modifizierten ihn genetisch. Der abgeänderte Zellkern wurde in eine entkernte Eizelle eingesetzt, die wiederum in eine Wolfs-Leihmutter implantiert wurde. Das Verfahren führte zur erfolgreichen Geburt der drei Welpen, die äußerlich und genetisch stark an den ausgestorbenen Schattenwolf erinnern.
Anders als der gewöhnliche Grauwolf haben die drei Welpen weißes statt graues Fell, sind viel größer und muskulöser und haben breitere Schultern und größere Zähne. Auch das Heulen und Winseln unterscheidet sich. Allerdings gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Diskussionen darüber, ob diese Tiere tatsächlich als echte Schattenwölfe betrachtet werden können oder ob es sich um genetisch modifizierte Grauwölfe handelt, die lediglich bestimmte Merkmale des ausgestorbenen Tieres aufweisen.
Chance für die Artenvielfalt?
Hat die Rückkehr des Schattenwolfs auch praktischen Nutzen? Als ehemaliger Spitzenräuber könnte er beispielsweise dabei helfen, Ökosysteme zu stabilisieren, indem er übermäßige Populationen von Pflanzenfressern reguliert.
Allerdings bleibt unklar, ob die Tiere jemals in die Wildnis entlassen werden können – oder ob sie, wie momentan, in einer kontrollierten Umgebungen bleiben müssen. Denn eine solche Auswilderung sei enorm aufwändig, sagt der Biologe Wolfram Adelmann von der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) in Laufen. „Da steht man vor der gleichen Frage, die Zoos haben“, sagt er. Auswilderungen müssen langfristig geplant und vorbereitet werden und erfordern viel Wissen über die Tierart und die Umweltbedingungen.
Gentechnik kann nicht kompensieren, was der Mensch zerstört
Außerdem reichten drei Geschwister-Welpen für eine Auswilderung lange nicht aus, so der Naturschützer. Bei einer Pflanze bräuchte man schätzungsweise 50 bis 100 verschiedene Exemplare, oder sogar noch mehr, um eine überlebensfähige Population aufzubauen. „Es ist eine spannende Möglichkeit, aber auch ein Wahnsinnsaufwand. Es kann sicher nicht kompensieren, wie schnell der Mensch Lebensräume und Arten zerstört“, so der Biologe.
Zoologisches Schaulaufen statt Biodiversitätsanreicherung
Bei Tieren wie dem Schattenwolf, der vor über 13.000 Jahren ausgestorben und dem ökologischen Kreislauf verloren gegangen sind, ist die Reproduktion aus Sicht von Experte Adelmann wahrscheinlich nicht sinnvoll, weil man nicht weiß, wie sich die Arten in freier Natur verhalten würden. „Wenn wir uns zum Beispiel Dinosaurier in den Garten stellen, ist dies keine Biodiversitätsanreicherung, sondern zoologisches Schaulaufen“, so Adelmann.
Eine große Chance sieht er jedoch in der Wiederbelebung von Tier- und Pflanzenarten, die in jüngerer Vergangenheit ausgestorben sind. In Bayern gehörten dazu etwa der Fisch Bodensee-Kilch oder die Pflanze Bodensee-Steinbrech. „Wenn man solche Arten reaktivieren könnte, wäre das sicherlich ein spannender Ansatz – auch für den Naturschutz“, sagt Adelmann. Er schätzt: In 30 bis 40 Jahren könnten gentechnisch erzeugte Rückzüchtungen praxisrelevant werden.