Vor 90 Jahren, am 15. September 1935, verkündeten die Nationalsozialisten die Nürnberger Gesetze. Mit ihnen verloren Jüdinnen und Juden ihre politischen Rechte und politischen Schutz und wurden degradiert zu Bürgern zweiter Klasse, für die Menschenrechte nicht mehr galten.
Nürnberger Gesetze bestehen aus drei Gesetzen
Im Dokumentationszentrum Nürnberg, auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, wird an den Erlass der Nürnberger Gesetze erinnert. Diese bestehen aus drei Einzelgesetzen. Eigentlich waren 1935 die Reichstagsabgeordneten gemeinsam mit Hitler in Nürnberg zusammengekommen, weil in New York eine Hakenkreuzflagge niedergerissen worden war. Darauf wollten die Nazis reagieren und machten die Hakenkreuzflagge zur offiziellen Nationalfahne: Diese „Reichsflaggengesetz“ war das erste der drei Nürnberger Gesetze.
Es folgten zwei weitere Gesetze. Das „Blutschutzgesetz“ ist laut Alexander Schmidt, Historiker und Ausstellungskurator, das bekannteste: „Das sogenannte Blutschutzgesetz verbietet Eheschließungen zwischen deutschen Juden und nicht jüdischen Deutschen.“ Das dritte Gesetz, das „Reichsbürgergesetz“, sorgte für die Entrechtung der Juden, beispielsweise dafür, dass Jüdinnen und Juden die Ausübung ihres Berufs untersagt wurde. „Man hat Juden nicht nur entrechtet, sondern ihnen auch die wirtschaftliche Lebensgrundlage genommen. Einer der Betroffenen hat es Finanztod genannt“, sagt Historiker Schmidt im BR-Gespräch.
Systematische Entrechtung statt spontaner Gewalt
Überall auf den Straßen gab es nach der Machtergreifung von den Nazis befeuerte Gewalt, Pöbeleien, Schlägereien gegenüber Juden. Darauf verkündete die nationalsozialistische Führung diese antijüdischen Gesetze. „Die Naziführung wollte nicht einfach spontan Gewalt gegen Juden, sondern sie wollte Juden systematisch und vollständig entrechten und letztlich aus der Gesellschaft herauslösen“, erklärt Alexander Schmidt.
Mit den Nürnberger Gesetzen schufen die Nationalsozialisten nicht nur eine gesetzliche Basis, sondern auch eine Rechtfertigungsgrundlage, um Jüdinnen und Juden systematisch zu diskriminieren zu können. „Sie sind ein Beispiel, wie sich menschenverachtender Rassismus als normales Gesetz tarnt und wie man Rassismus tatsächlich in Politik übersetzen kann. Und man sieht, wozu es führen kann, Menschen aufgrund Kriterien wie der Religion auszugrenzen“, sagt Alexander Schmidt.
Eingriff in Privat- und Berufsleben
Die Nürnberger Gesetze griffen tief in das Privat- und Berufsleben von Jüdinnen und Juden ein. Liebesbeziehungen und Ehen zwischen Juden und Nicht-Juden wurden verboten, trotzdem geschlossene Ehen galten als nichtig und wurden mit Zuchthaus bestraft. „Liebe zwischen einem Juden und einem Nicht-Juden war in den Augen der Nazis etwas Schmutziges, eine sogenannte Rassenschande. Die ‚Rassenschänder‘, die erwischt wurden, wurden öffentlich angeprangert. Sie mussten sich mit einem Schild, mit rasiertem Kopf, mit entwürdigenden Texten an den Pranger stellen lassen“, erklärt Schmidt.
Nürnberger Gesetze als Grundlage für den Holocaust
Die Nürnberger Gesetze waren die Grundlage für den Völkermord der Deutschen an den Jüdinnen und Juden. 1938, in der Reichspogromnacht, brannten in Deutschland die Synagogen und jüdische Geschäfte wurden zerstört. Im September 1941 trat die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ in Kraft. Alle Jüdinnen und Juden ab sechs Jahren mussten nun in der Öffentlichkeit den „gelben Stern“ tragen und wurden so öffentlich gebrandmarkt. Im Januar 1942 wurde auf der Wannsee-Konferenz die systematische Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden koordiniert, die „Auslöschung des gesamten Judentums“ war das Ziel. Sechs Millionen Menschen wurden daraufhin ermordet.
An dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte will das NS-Dokumentations-Zentrum in Nürnberg erinnern. Allein im vergangenen Jahr haben es rund 170.000 Menschen besucht. Für Ausstellungskurator Alexander Schmidt ist es eine bleibende Aufgabe, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen: „Der Nationalsozialismus stellt uns Fragen: Würde ich auch mitmachen? Was ist das Verbrecherische am Nationalsozialismus? Und damit meine ich nicht nur die Morde, nicht nur den Krieg. Ich meine das Denken. Und was von diesem Denken haben wir in uns?“