„Das hier ist etwas ganz Besonderes“, sagt Nicolas Tomo. Er ist Grabungsleiter auf der Baustelle am Kapellenplatz in Rothenburg ob der Tauber. Der Platz sollte aufgehübscht werden. Doch weil das gesamte Innenstadtgebiet als Bodendenkmal gelistet ist, werden Bauarbeiten automatisch archäologisch begleitet – auch diese. Und dabei hat Tomos Team die Überreste einer alten Synagoge entdeckt. Die könnte im Mittelalter eines der bedeutendsten jüdischen Zentren Süddeutschlands gewesen sein.
Existenz war bekannt – der genaue Standort nicht
Völlig unverhofft sind Stadt, Grabungsleiter und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BDFL) aber nicht über die Synagoge gestolpert. Gebietsleiter Christoph Loibinger erklärt: „Wir wussten vorher aufgrund von alten Dokumenten, dass auf dem Kapellenplatz eine Synagoge stand. Wir wussten nur nicht, wo genau.“ Doch Lage, Eingangsbereich und Größe der Mauerreste sind starke Indizien dafür, dass die alten Steine am südlichen Teil des Platzes einmal zu dem jüdischen Gotteshaus gehört haben.
Rothenburg war einst wichtiges jüdisches Zentrum
Die jüdische Geschichte in Rothenburg reicht viele Jahrhunderte zurück. Um das Jahr 1180 entstand in der Stadt eines der ältesten jüdischen Viertel in Süddeutschland. Rothenburg galt im Mittelalter als Ort jüdischer Hochkultur. „Ein berühmter Rabbiner, Meir ben Baruch, hat im 13. Jahrhundert mehrere Jahrzehnte lang in Rothenburg gelehrt“, erzählt Oberbürgermeister Markus Naser (FRV). Das Ausgrabungsteam vermutet, dass die Synagoge zeitgleich existiert hat. Auch seine Talmudschule stand am heutigen Kapellenplatz. Der Rabbi ist heute noch eine wichtige Figur im orthodoxen Judentum.
Judenverfolgung: Synagoge wurde zur Kapelle
Aus dem Mittelalter gibt es Zeichnungen des Bauwerks auf dem Kapellenplatz. Darauf steht es exakt dort, wo das Grabungsteam nun die alten Mauern gefunden hat. „Die Zeichner waren sehr penibel, da stimmt eigentlich alles“, sagt Loibinger begeistert. Allerdings zeigen die Bilder keine Synagoge, sondern eine Kapelle auf dem südlichen Teil des Platzes.
Während der Judenverfolgung im 13. und 14. Jahrhundert wurde das komplette jüdische Viertel zerstört. Die Synagoge wurde 1406 zu einer Marienkapelle umgewandelt. Der Kernbau blieb dabei erhalten, wurde aber ergänzt. Die Kapelle wiederum wurde vor 200 Jahren ebenfalls abgerissen. Heute ist der Platz, bis auf ein paar Bäume und Autos, leer. Nach dem Pogrom entstand eine neue jüdische Gemeinde in Rothenburg, im Norden der Altstadt. Auf dem Schrannenplatz errichtete die Stadt eine neue Synagoge.
Nicht der gesamte Platz wird freigelegt
Freigelegt haben Tomo und sein Team zwei Wände der Kapelle. Vermutlich ist unter den Pflastersteinen noch mehr, doch das Team öffnet den Boden nur dort, wo der Platz umgestaltet werden soll. „Das ist eine sogenannte Notgrabung“, erklärt Tomo. „Hier wird nur gegraben, weil neu gebaut werden soll. Die Bereiche, die nicht bebaut werden, fassen wir auch nicht an.“ Auf dem Platz sollen zwei neue Bäume gepflanzt und eine E-Auto-Ladestation aufgestellt werden.
Mauern werden wieder verschwinden – fast
Zwei Wochen lang dauern die Arbeiten vermutlich noch. An den Funden verändert das Team allerdings nichts. Die Mauer wird zum Schluss fein säuberlich abgedeckt und dann unter dem neuen Bodenbelag vergraben. Spurlos verschwinden wird sie aber nicht, verrät OB Naser: „Wir wollen mit unterschiedlichen Pflastersteinfarben sichtbar machen, wo die Mauerreste verlaufen.“ Außerdem wolle die Stadt eine neue, größere Infotafel anbringen.