Abnehmspritzen wie etwa Wegovy haben offenbar einen großen Nutzen – aber auch einige Risiken: In einer systematischen Analyse haben Forscher anhand riesiger Datensätze ihre medizinischen Vor- und Nachteile ermittelt. GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) sind hierzulande gegen Diabetes 2 und viele Fälle von Übergewicht zugelassen.
Die Medikamente aus der noch recht neuen Wirkstoffklasse sind ungemein beliebt. Erst im Sommer wies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesichts der großen Nachfrage auf zeitweilige Versorgungsengpässe hin.
„Angesichts der Neuheit der Medikamente und ihrer in die Höhe schießenden Popularität ist es wichtig, die Auswirkungen auf alle Körpersysteme systematisch zu analysieren, um zu verstehen, was sie tun und was nicht“, wird Hauptautor Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis in einer Mitteilung zitiert.
Risiko für 42 Gesundheitsprobleme gesunken, für 19 gestiegen
Das Ergebnis der Studie: Für 42 gesundheitliche Probleme sank unter der GLP-1-RA-Therapie das Risiko, dagegen stieg es für 19 andere, wie das Team im Fachblatt „Nature Medicine“ schreibt.
Günstige Effekte fand das Team auf Suchtprobleme – etwa mit Alkohol, Opiaten, Tabak oder Cannabis, psychotische Störungen, Demenz wie Alzheimer, Blutgerinnungsstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Infektionskrankheiten und diverse Atemwegsprobleme – von Bronchitis über Lungenentzündung bis zu chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD).
„GLP-1-RA-Präparate wirken auf Rezeptoren in Gehirnarealen, die an Impulskontrolle, Belohnung und Sucht beteiligt sind“, erläutert Al-Aly. Das erkläre möglicherweise ihre Wirksamkeit beim Drosseln von Appetit und Suchterkrankungen. Die möglicherweise verringerte Demenzgefahr erklärt er mit der entzündungshemmenden Wirkung im Gehirn. Das geringere Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – hierzulande die häufigste Todesursache – führt Tacke auf die Gewichtsreduktion und eine veränderte Lebensführung wie etwa mehr Bewegung zurück.
Lange Verweildauer der Nahrung im Darm
Die Studie bestätigt auch Analysen, wonach GLP-1-RA-Präparate nicht mit suizidalen Gedanken und Selbstverletzungsgedanken einhergehen. Diese Gefahr sei sogar reduziert, schreibt die Gruppe und verweist auf mögliche antidepressive Eigenschaften der Medikamente.
Als Risiken nennt die Gruppe unter anderem Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Sodbrennen, Gelenkentzündungen, Schlafstörungen oder Hypotonie, also zu niedrigen Blutdruck. Zudem könnte die Einnahme in seltenen Fällen entzündliche Prozesse in den Nieren und der Bauchspeicheldrüse fördern. Der deutsche Experte Tacke erklärt die bekanntermaßen häufigen Magen-Darm-Probleme mit der längeren Verweildauer der Nahrung im Verdauungstrakt. Diese erhöht das Sättigungsgefühl.
Charité-Experte: Positive Risiko-Nutzen-Bilanz
Das Autorentrio wertete im Rahmen der Studie eine Datenbank des US-Kriegsveteranenministeriums aus. Daraus verglich es rund 216.000 Menschen, die GLP1-Rezeptor-Agonisten gegen Diabetes 2 nahmen, mit gut 1,2 Millionen Veteranen, die andere Therapien nutzten. Insgesamt nahm das Team 175 mögliche medizinische Auswirkungen in den Fokus. Die mittlere Beobachtungsdauer betrug 3,7 Jahre.
„Anhand so großer Datenmengen kann man auch seltene Nebenwirkungen ermitteln“, sagt der Gastroenterologe Frank Tacke von der Berliner Charité, der nicht an der Studie beteiligt war. Er gehört dem wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) an. „Diese großen Datensätze unterstreichen die positive Risiko-Nutzen-Bilanz dieser Präparate“, sagt Tacke. „Das ist vorerst beruhigend.“
Kurze Beobachtungszeit – Tumorgefahr bleibt ungeklärt
Das Autorentrio betont, die Erkenntnisse der Studie könnten generell dazu führen, neue medizinische Zusammenhänge systematisch zu erforschen. Gleichzeitig hätten sie schon jetzt Bedeutung für die medizinische Praxis. So sollte beim Einsatz der Präparate etwa der Blutdruck gut kontrolliert und bei Bedarf die Einnahme von Blutdrucksenkern angepasst werden. Auch auf andere mögliche negative Auswirkungen der Therapie sollte künftig verstärkt geachtet werden. „GLP-1-RA-Präparate können einen breiten gesundheitlichen Nutzen bieten“, sagt Al-Aly. „Aber risikofrei sind sie nicht.“
Trotz der insgesamt deutlich positiven Bilanz der GLP-1-RA-Präparate bleibt eine wichtige Frage ungeklärt. Für die Bewertung einer möglicherweise erhöhten Tumorgefahr sei die Beobachtungszeit von 3,7 Jahren zu kurz, sagt Tacke. Allerdings gebe es auf ein solches Risiko bislang keinerlei Hinweise.
Auch Fragen rund um zusätzliche positive Effekte sind noch offen: Studien prüfen derzeit einen möglichen Nutzen gegen etliche weitere Erkrankungen, darunter Parkinson und Alzheimer.
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